Verstaubtes Brauchtum? Grausame Lust? Oder doch aktiver Naturschutz und notwendige Bestandsregulierung? Am Thema Jagd scheiden sich die Geister. Wolfgang Teepe ist Waidmann durch und durch. Dass manche Mitmenschen seinem Hobby kritisch gegenüberstehen, weiß der Hegeringleiter. Seine Antwort: „Man muss das Gespräch suchen – immer wieder.“
Aus der Jagdkanzel heraus haben Wolfgang Teepe und seine Frau Ingrid einen weiten Blick über das Revier: Direkt vor ihnen, gleich jenseits des Vorgartens, erstreckt sich eine Mähwiese. Etwas weiter entfernt liegt ein kleines Wäldchen. Im Hintergrund eine Schonung. „Wir haben viele schöne Ecken in der Velper Jagd“, sagt Hegeringleiter Teepe, „aber das hier ist mein Lieblingsplatz.“ Von ihrem lauschigen Hochsitz aus haben die Teepes in vielen Frühlingen schon etliche Rehmütter mit ihren Kitzen vorbeiziehen sehen. Auch Hasen, Füchse, Kaninchen, streunende Hunde… Der Teepe’sche Privat-Ansitz ist allerdings nicht auf vier staksigen Beinen aus Holz gezimmert, sondern besteht aus solidem Klinkerwerk und viel Glas – und gehört, als Wintergarten konzipiert, praktischerweise zur eigenen Wohnung. Doch für Naturfreunde wie Wolfgang Teepe und seine Frau eignet sich so ein komfortables Stübchen mit Rundumblick perfekt als Beobachtungsposten.
Die Jagdkanzel als Ort der Meditation?
„Wenn einer Stress hat, dann rate ich ihm: Setz dich auf einen Hochsitz und schau dir die Natur an“, sagt Teepe. Er selbst habe die Ruhe und die Übersicht, die eine solche Rückzugsmöglichkeit biete, in den 40 Jahren, die er dem Waidwerk nun schon nachgehe, immer wieder auch zur Entspannung genutzt. Besonders in der Zeit, als er noch als Elektromeister beim Kraftwerk in Ibbenbüren tätig war. Die Jagdkanzel als Ort der Meditation – klingt das denn nicht doch ein wenig weit hergeholt? „Keinesfalls“, entgegnet der 68-Jährige mit versonnenem Schmunzeln: „Schon so mancher Bock ist unbeschadet davongekommen, während ich auf dem Hochsitz meinen Gedanken nachgehangen bin…“
Mehr als bloßes „Herumgeballere“
Überhaupt: „Einige Leute denken ja, dass wir Jäger bloß herumballern“, ärgert sich Teepe. Dass sich die derzeit zehn aktiven Velper Grünröcke lediglich an zehn von 365 Tagen im Jahr gemeinsam auf die Niederwildjagd begeben und dabei dann zum Beispiel Hasen, Kaninchen, Fasanen und Enten erlegen, wissen die wenigsten. Während der Bockjagd von Mai bis Mitte Januar dürfe jeder der Velper Jäger außerdem genau einen Rehbock schießen. Neben dem „Geballer“ stehen für den Waidmann mithin auch noch jede Menge anderer Aktivitäten auf dem Jahresplan.
Jede Menge zu tun im Revier
„Jetzt im Januar sind wir gerade damit beschäftigt, einen Teil der etwa 250 Kopfweiden in unserem Revier zu schneiteln“, erzählt Wolfgang Teepe. Mit den abgesägten Ästen wollen er und seine Velper Kollegen dann eine Totholzhecke anlegen – als Unterschlupf und zum Schutz für Insekten, Vögel und Kleinegetier. Außer den zwei Kilometern Sichtschutzhecken will auch das von der Jägerschaft in den 1990er Jahren angelegte Biotop samt kleinen Teichen gepflegt werden. „Aus jagdlicher Sicht stehen im Januar und Februar noch die kreisweit angesetzten Taubenjagdtage und die Jagd auf Krähen und Elstern an.“
Der März wird von Verwaltungsarbeit geprägt: „Wir machen die Jagdabrechnung und stellen die Streckenmeldung für die Untere Jagdbehörde zusammen“, berichtet Teepe. Außerdem halten die Westerkappelner am 13. März ihre Hegeringversammlung inklusive der internen Gehörnschau ab. „Mit dem neuen, 2015 in Kraft getretenen Jagdgesetz sind die bis dahin verbindlichen Abschusspläne und auch die Gehörnschau offiziell abgeschafft worden“, erklärt Teepe, der wie viele seiner Jagdgenossen mit dieser Regelung nicht glücklich ist. Daher halten die Westerkappelner freiwillig an den alten Traditionen fest. Nicht aus Nostalgie, sondern weil ein Blick auf die Gehörne immer auch einen Blick auf die Altersstruktur der Rehwildpopulation gestatte, erklärt Teepe: „Und die muss passen, damit der Bestand gesund bleibt.“
Spätestens im April, wenn der Frühling mit milden Temperaturen zurückkehrt, ziehen auch die Rehe wieder gut sichtbar durchs Revier. „Jetzt ist die Zeit, den Bestand zu zählen und den Abschussplan festzulegen“, verweist Teepe darauf, dass sich die Westerkappelner nicht aus Pflicht – die ja seit 2015 nicht mehr besteht – sondern aus Überzeugung untereinander abstimmen, welche und wie viele Rehe sie im kommenden Jahr erlegen wollen. Für Wolfgang Teepe birgt der April 2018 zudem eine besondere Herausforderung: Sein angehender Jagdhund Basco absolviert die Prüfung zur Jugendsuche.
Bis zum ersten Mai, wenn die Bockjagd beginnt, hat sich jeder Jäger nach vielen geduldigen Stunden auf den Hochsitzen genau das Tier ausgeguckt, das er erlegen will. „Dann bist du wieder Tag und Nacht unterwegs“, nickt Ingrid Teepe ihrem Mann amüsiert zu. Ist der Bock – „in Velpe bis spätestens Oktober“ – erlegt, kocht Teepe den Schädel des Tieres, säubert ihn, bleicht ihn mit Wasserstoffperoxid und zieht die Trophäe auf ein Holzbrett. Mit etwas Glück können Wolfgang und Ingrid Teepe mit ihrem dreijähigen Enkel Luca dann im Mai auch wieder von ihrem Lieblingsplatz aus beobachten, wie sich auf der benachbarten Wiese die Ricke um ihre frisch gesetzten Rehkitze kümmert.
Während die Wildtiere mit ihrem Nachwuchs beschäftigt sind, legen die Velper Jäger im Juni die Blühstreifen an und bestellen ihre Wildäcker. „Der Juli und der August sind für die Autofahrer eine besonders gefährliche Zeit“, warnt Teepe. Denn dann befinden sich die Rehe im Taumel der Hormone und hasten auch schon einmal – wie blind in ihrem Liebeswahn – über die Fahrbahn.
Auf den September freut Wolfgang Teepe sich immer besonders: Dann unterstützen die Mitglieder des Hegerings Westerkappeln ihre Kollegen vom Hegering Lotte/Wersen bei den Waldjugendspielen im Wersener Holz und laden die Drittklässler zu einem spannenden Gang durchs Revier ein. Auf Wunsch bietet Teepe – ganzjährig – auch für Kindergärten und Schulen geführte Wanderungen an, um dem Nachwuchs die Geheimnisse der Natur nahezubringen.
Ab dem 16. Oktober ist die Schonzeit unter anderem für Hase und Kaninchen, Steinmarder und Fasan vorbei, bereits seit Anfang September dürfen auch Ricken geschossen werden. Der November und der Dezember stehen somit wieder ganz im Zeichen der Nieder- und der Rehwildjagd. Das sind dann auch die Monate, in denen Ingrid Teepe für ihre Familie Fasanensuppe und gebratene Rehkeule zubereitet.
„Da wird es einem Jäger nicht langweilig“, blickt Wolfang Teepe dem neuen Jahr freudig entgegen, das wohl wieder eine breite Palette abwechslungsreicher Erfahrungen für ihn bereithalten dürfte: beschauliche Stunden im Revier, anstrengende Arbeitseinsätze, manchen Ärger über nicht angeleinte Hunde gedankenloser Passanten sowie viele, viele interessante Gespräche mit Jagdgenossen, Schulkindern – und Kritikern, die er geduldig von der Notwendigkeit des Waidwerks zu überzeugen versucht…
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 03.01.2018)