Eleganter Kampf um die Gesundheit

Hübsch, aber gefährlich: So elegant der Tanz mit dem Fächer auch aussieht, Elke Moldenhauer (rechts) und ihre Schülerinnen üben sich hier in einer Spielart der chinesischen Kampfkunst, in der das Accessoire als Waffe dient. Foto: Ulrike Havermeyer

Elke Moldenhauer blinzelt mir zu, ein geheimnisvolles Lächeln im Gesicht. „Lassen Sie sich nur nicht täuschen“, warnt sie mich und zieht – flupp! – einen feuerroten Fächer aus der Hinterhand. „Das hier hat nämlich nichts mit Karl Lagerfeld zu tun!“

Wenn die zierliche Seniorin ihre Schüler – wie an diesem Abend in der kleinen Turnhalle des THC in Westerkappeln – im Tai Chi Chuan unterrichtet, merkt man schnell, dass die Wurzeln der asiatischen Heilgymnastik in der chinesischen Kampfkunst liegen. Weil es den alten Chinesen streng untersagt gewesen sei, bewaffnet in eines der öffentlichen Teehäuser zu gehen, erläutert Elke Moldenhauer, hätten sie statt ihre Schwerter kurzerhand ihre Fächer mitgebracht. Keine gewöhnlichen Modelle, versteht sich. „Denn deren Streben waren nicht aus Bambus, sondern aus Metall gefertigt, liefen an den Enden spitz zu – und diese Spitzen waren in Gift getaucht.“ Geschickt verborgene, tödliche Waffen mithin. Alles andere also als das filigrane Accessoire eines greisen Modezaren.

Anerkannte Gesundheitsvorsorge

Und auch, wenn Elke Moldenhauer und ihre Schülerinnen keineswegs mordlustig wirken – „Nein, nein: Fühlen sie mal, das ist alles aus Bambus“, hält mir die Westerkappelnerin ihren Kung Fu Fächer entgegen – so sind die agilen Damen doch fraglos äußerst wehrhaft. Nicht nur gegenüber potenziellen Schurken, sondern auch gegenüber körperlichen Gebrechen und den tückischen Angriffen aus der Welt der Viren und Bakterien. Es kommt schließlich nicht von ungefähr, dass viele Krankenkassen Tai Chi-Kurse oder auch das  ebenfalls von Elke Moldenhauer gelehrte Qigong als anerkannte Gesundheitsvorsorge unterstützen. Ob zur Stressbewältigung, zur Vitalisierung des Immunsystems, zur Förderung der Beweglichkeit, zur Stärkung der Gelenke und des Rückens, zur Sturzprophylaxe… – „Man kann gar nicht aufzählen, für was alles diese Sportart gut ist“, macht die unter anderem in Shanghai ausgebildete Tai Chi-Lehrerin erst gar keine Anstalten, ihre Begeisterung zu verbergen, „man muss das einfach mal selber erleben!“

Leichtigkeit kommt mit der Zeit

Genau deswegen bin ich hier: Ich ziehe meine Turnschuhe an und mische mich unter die Kursteilnehmerinnen. „Bis die Leichtigkeit kommt, dauert es allerdings einige Zeit“, mahnt mich Elke Moldenhauer vor allzu hohen Erwartungen und legt ihren Fächer demonstrativ zur Seite. Um bei den unterschiedlichen „Formen“, wie die traditionellen, fest definierten Bewegungsabläufe im Tai Chi genannt werden, mitzumachen, „braucht man schon etwas Geduld“, sagt die Trainerin. Ihre Kurse, die sie über das ganze Jahr verteilt anbietet, umfassen jeweils zehn Termine. Am Beginn jeder Stunde stehen die Aufwärmübungen – und schon die haben es, wie ich wenige Minuten später versichern kann, durchaus in sich.

Gutes Training auch für den Alltag

Allein die Art und Weise, wie im Tai Chi die Finger zunächst gelockert und anschließend gekräftigt werden, fasziniert mich: Denn in dem auch für mich als Anfängerin überschaubaren Bewegungsmuster, das auf den ersten Blick so simpel und vertraut wirkt, verbirgt sich wohldosierte, explosive Energie – mit ungeahnter Langzeitwirkung. Der gestreckte Daumen leistet dabei den hinter ihm zur Faust geballten Fingern deutlichen Widerstand, wenn diese sich – als schnellten sie aus einer plötzlich gelösten Feder heraus – in die Länge strecken. „Wir müssen jeden Tag so viele Plastikverschlüsse aufdrehen, da ist es gut, Kraft in den Händen zu haben“, verweist Elke Moldenhauer auf den praktischen Nutzen des Schnippens.

Wie man im Stehen sitzt

Während sich im Hintergrund leise chinesische Instrumentalmusik aus den Lautsprechern ergießt, lassen wir das Qi, die Energie, durch unsere Körper fließen und trainieren außer den Muskeln auch unsere Achtsamkeit. Beim Üben der „Acht Brokate“ lerne ich beispielsweise, im Stehen zu sitzen und dabei die Lendenwirbelsäule zu entlasten. Hinter den poetisch betitelten Formen – „Den Himmel mit den Händen stützen“, „Den Bogen spannen, durch das Tigerauge schauen und den Adler schießen“ – stecken hand- und standfeste Herausforderungen für Körper und Geist. „Anspannung und Entspannung“, benennt Elke Moldenhauer eines der Geheimnisse des Tai Chi. „Aber immer nur so viel davon, wie dem eigenen Körper gut tut.“ Nicht jede Übung sei für alle Personen gleichermaßen geeignet, gibt sie zu bedenken. Arthrose, Rückenprobleme, zu hoher oder zu niedriger Blutdruck müssten stets berücksichtigt werden – „aber keine Sorge, ich passe gut auf meine Leute auf.“

„Einfach mal ausprobieren“

Die zehn Frauen um Elke Moldenhauer herum nicken bestätigend. „Seit ich Tai Chi mache, sind meine Schmerzen weg“, sagt eine ältere Dame, blickt dabei etwas vorwurfsvoll auf ihre Uhr und wendet sich mit sichtlicher Ungeduld an Elke Moldenhauer. „Nur noch zehn Minuten – machst du mit uns denn jetzt bitte noch einmal die Fächer-Form?“ Die Frage, wie es um die Motivation der Gruppe bestellt ist, erübrigt sich damit. „Ob Schüler, Mütter oder Rentner – Tai Chi tut auf so viele Weisen und eigentlich jedem gut. Am besten: Einfach mal bei uns reinschauen und ausprobieren“, schwärmt Elke Moldenhauer und spannt – flupp! – mit funkelnden Augen ihren Fächer auf.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 13.12.2017)