Um den Nikolaus zu entlasten, habe ich mich unter die Chocolatiere gemischt. Mein Ziel: Süßigkeiten für den bunten Teller selber machen. Passt also gut, dass Anne von der Haar einen Workshop anbietet, der (wissens)hungrige Naschkatzen wie mich in die Kunst des Pralinenherstellens einweiht.
Berge aus verlockend zarter Vollmilch-schokolade – zu mundgerechten Pellets geformt – warten bereits auf einem der Tische in der Küche der Hauptschule in Tecklenburg auf die Teilnehmerinnen des Kurses „Pralinen und Konfekt“ der Volkshochschule Lengerich Westfalen. Außerdem mehrere Beutel voller Zartbitterflocken. Weiße Kuvertüre ist ebenfalls reichlich vorhanden. Dazu glasklarer Glukosesirup, verschiedene Fruchtpasten, Kokosraspeln, Himbeerpulver, Cappuccino Crispies, Butter und Sahne. Diverse Liköre. Und mehrere Lagen zu kurvigen Hohlkörpern gegossene Kalorien für die Füllungen.
Küchenkompetenz in der Weihnachtswerkstatt
Doch trotz dieses üppig gedeckten Gabentisches voller erlesener Zutaten ahne ich schon: Der Alltag eines Chocolatiers ist kein Zuckerschlecken, sondern erfordert neben Übersicht und feinmotorischen Fähigkeiten auch ein gerüttelt Maß an Küchenkompetenz. Und obwohl ich über just diese Talente und Erfahrungen nicht wirklich verfüge, lässt das aromatisch duftende Schlaraffenland mir doch das Wasser im Munde zusammenlaufen – und die Vorfreude nimmt ungehemmt Oberhand über sämtliche fachliche Bedenken.
Während Anne von der Haar die Rezepte – von denen eins wie das andere reinsten kulinarischen Luxus verheißt – an uns verteilt, fängt sie mit unverhohlener Begeisterung an, über das zu erzählen, was sie am liebsten tut: Leckere Dinge aus Schokolade herstellen. Kreationen, die nicht bloß den Gaumen, sondern auch das Auge erfreuen. „Ich fahre einfach total ab auf Schokolade“, fasst sie ihre Leidenschaft kurz, bündig und mit einem charmanten Lächeln zusammen. Nein, Anne von der Haar ist nicht die Frau vom Weihnachtsmann.
Dann mal ran an die Schokolade!
Aber als seine rechte Hand könnte die gelernte Köchin und Ökotrophologin wohl sofort ihren Dienst in der Weihnachtswerkstatt aufnehmen. Wie gut also, dass noch niemand vom himmlischen Personal bei ihr angefragt hat und sie ihr delikates Wissen nun an uns weitergibt. Los geht’s: Weil in handgemachten Pralinen, selbst wenn die Hohlkörper wie hier im VHS-Kurs schon fix und fertig bereitstehen, nicht nur die köstlichen Füllungen, sondern auch jede Menge Zeit, ein ungeahntes Maß an Aufwand, reichlich Fingerspitzengefühl und Präzisionsarbeit sowie kreatives Geschick stecken, teilen wir uns in kleine Gruppen auf. „Das Gute daran ist“, verrät uns unsere Lehrerin, „dass ihr euch nur mit einem Rezept zu beschäftigen braucht – aber überall gucken und natürlich auch überall probieren dürft!“
Auch alkoholfreie Trüffeln im Angebot
Zusammen mit Doris Schweiger-Harte aus Westerkappeln und ihrer Kollegin Manuela Kuhlmann aus Voltlage wage ich mich an die „Likör 43 Trüffel“ und dezimiere damit schonmal die Anzahl potenziell übergriffiger Schleckermäuler innerhalb der Familie um die Hälfte. Aber keine Bange – im Angebot sind auch Kind gerechte, alkoholfreie Pralinen – und am Ende des Workshops darf jede Teilnehmerin eine komplette Palette mit sämtlichen Geschmacksvariationen zum privaten Vernaschen mit nach Hause nehmen: Ja, in der irdischen Weihnachtswerkstatt von Anne von der Haar herrschen paradiesische Bedingungen!
Auf das Fingerspitzengefühl kommt es an
Doch so süß unser Ziel auch schmecken mag, der Weg dorthin besteht aus Geduld und Konzentration: Die Zutaten müssen erhitzt und vermischt, wieder abgekühlt und dann neuerlich erhitzt werden. „Wenn die Kuvertüre nicht genau temperiert wird, werden die Pralinen anschließend matt“, erklärt uns Anne von der Haar und verteilt die digitalen Thermometer. Zum Glück sind Doris Schweiger-Harte und Manuela Kuhlmann versierte Hobbyköchinnen – und gehen die ganze Sache entsprechend gelassen an: „Wir probieren einfach gerne etwas Neues aus“, sagen die beiden entspannt. Mühelos bugsieren sie mithilfe eines Spritzbeutels die cremig-flüssige Füllung in die Hohlkörper und verschließen sie anschließend mit einem Tropfen Kuvertüre. Danach heißt es wieder: Abkühlen lassen. Doch die Zeit lässt sich gut nutzen, um eine weitere Portion Schokolade für das finale Ummanteln des Hohlkörpers zu schmelzen, also noch einmal: Vorsichtig erhitzen. Vorsichtig abkühlen lassen. Und immer schön rühren und die Temperatur im Blick behalten.
Ganz im Zeichen des weihnachtlichen Optimismus‘
Als sich Stunden später die fertigen Trüffel vor uns auf dem Backpapier kugeln, wird mir klar, dass ich vor lauter Anspannung und Faszination ganz vergessen habe, von den süßen Sünden der anderen Chocolatieres zu naschen. Macht nichts, sage ich mir und gebe mich dem weihnachtlichen Optimismus hin: Schließlich ist am 6. Dezember Nikolaustag – und wenn es bei den Zuckerbäckern am Nordpol auch nur halb so geschäftig zugegangen ist wie bei uns in Tecklenburg, dürften die bunten Teller in diesem Jahr für einige Westfalen besonders üppig ausfallen…
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 06.12.2017)