Vielleicht bin ich sentimental. Habe etwas dicht am Wasser gebaut. Diese Geige auf jeden Fall schafft mich. Greift nach meiner Seele. Kaum zu fassen, dass ich selbst es bin – unmusikalisch und kompetenzfrei – die dem Instrument diese jauchzenden und schmeichelnden Töne entlockt.
Mit über Jahrzehnte angehäuftem Respekt beäuge ich die schmucke Violine, wie sie da – glatt und formvollendet und auf Hochglanz poliert – im aufgeklappten Instrumentenkoffer funkelt. Holz gewordene Harmonie. Schellack überzogene Herausforderung. Mein Puls beginnt zu rasen, wenn ich eine Geige sehe. Und wenn ich sie dann höre, ihre warme, eindringliche Stimme, zu der ich beim besten Willen keine sachliche Distanz aufzubauen in der Lage bin, schießen mir regelmäßig die Tränen in die Augen. Ob im Kino, im Konzertsaal oder vorm Küchenradio – ich habe ganze Wälder von Papiertaschentüchern emotional auf dem Gewissen. Der Klang einer Violine wirkt auf mich wie ein Buttermesser, das weich und grausam und unerbittlich durch mein ohnehin bereits dahin schmelzendes Innerstes schneidet.
Berührungsängste? Nur nicht einschüchtern lassen!
Auf einer Violine gespielt habe ich allerdings noch nie. Dazu hat das edle Instrument mich bisher viel zu sehr eingeschüchtert. Dass ich nun – eine Frau in den besten Jahren – der allerersten Geigenstunde meines Lebens entgegenfiebere, verdanke ich einer unscheinbaren, kleinen Zeitungsmeldung: „Schnupperstunde: Entdecke die Geige“, lädt Theresa Heßberg von der Westerkappelner Musikschule Forum Musaik zum unverbindlichen Einzelunterricht ein. Wann, wenn nicht jetzt? Beherzt ergreife ich die Gelegenheit, mir einen meiner sehnsüchtigsten Kindheitswünsche zu erfüllen.
Akute Gefahr für sentimentale Gemüter
„Achte auf deine Bogenhand – die Finger schön rund, nicht verkrampft“, erinnert Theresa Heßberg ihre Schülerin an die richtige Haltung. Konzentriert streicht Finja die in den Geigenbogen eingespannten Pferdehaare über die Saiten – G, D, A, E: Geh du alter Esel. Hoch und wieder runter. Aufstrich. Abstrich. Mit gleichmäßigen Schwüngen. Saite für Saite. Klar, hell, messerscharf. Ich atme tief ein und noch etwas tiefer aus und schaue betreten auf meine Füße. Wie peinlich… Die schmachtenden Frequenzen, auf denen die Siebenjährige ihr Instrument betörend kraftvoll zum Vibrieren bringt, haben mein Gemüt schon wieder erbarmungslos im Griff. Jetzt bloß nicht weinen.
Weihnachtslieder – zum Heulen schön…
Bevor ich selbst auf Haut- zu Holzkontakt mit der Violine gehe, darf ich zunächst Finja aus Velpe und anschließend Daria aus Wersen über die Schulter schauen. Die beiden Schülerinnen haben nach den Sommerferien mit dem Geigenunterricht bei Theresa Heßberg begonnen – und üben bereits sehr gekonnt die ersten anspruchsvollen Lieder ein: Weihnachtslieder – zum Heulen schön! Ihre 24-jährige Geigenlehrerin, die derzeit unter anderem Instrumentalpädagogik am Institut für Musik der Fachhochschule Osnabrück studiert, ist denn auch schwer begeistert: „Das klingt wirklich schon unglaublich gut bei den beiden!“ Dennoch gibt es immer etwas zu verbessern – beim Lehrer wie beim Schüler, verrät Theresa Heßberg: „Vor allem an der Grundhaltung der Bogenhand muss ständig gearbeitet werden.“
Alles eine Sache des inneren Ohrs
Aus wässrigen Augen bewundere ich, wie Daria den Bogen mit filigraner Handhaltung elegant über die Saiten zieht: G, D, A, E. „Der Saitenwechsel erfolgt aus dem Schultergelenk“, erklärt Theresa Heßberg und weist auf den richtigen Winkel zwischen Bogen und Saite hin, während der Anstrich der Saiten mit langem Arm aus dem Ellenbogen heraus geführt wird. Die Finger der linken Hand drücken die einzelnen Saiten herunter und erweitern so das Klangspektrum. An welcher Stelle der richtige Ton – zum Beispiel ein H, das durch das Herunterdrücken der A-Saite entsteht – zu finden ist, verrät die Geige dem Anfänger allerdings nicht: keine Tasten, keine Löcher, keine Markierungen. Kurzum: Den richtigen Ton zu treffen ist eine Sache der Erfahrung und des inneren Gehörs.
Irgendwie ein kuscheliges Gefühl
Schnell das Taschentuch in die Hosentasche gesteckt – denn nun ist der große Moment gekommen: „Am besten nicht den Corpus berühren“, deutet Theresa Heßberg auf die empfindliche Oberfläche des Instruments und erklärt mir, dass die Violine keinesfalls mit den Händen festgehalten, sondern zwischen Wange und Schulter geklemmt werde. Das fühlt sich gar nicht so unbequem an, wie ich befürchtet hatte. Irgendwie kuschelig… Die Sache mit der Bogenhand ist da schon deutlich verzwickter. Meine Lehrerin hilft mir, die Finger einigermaßen korrekt aufzulegen und dreht mein Handgelenk in die richtige Position. „Und jetzt versuchen Sie’s mal – Aufstrich und Abstrich!“
Auf Du und Du mit dem Instrument
Noch nie war ich einer Geige so nah. Und selten war ich so berührt von einem Instrument. Ich streiche den Bogen mit langem Arm – auf und ab und auf und ab, hebe und senke das Schultergelenk: G, D, A, E und grinse mir verstohlen die Tränen aus den Augen. Bloß das mit dem H will nicht klappen, dafür sind die Finger meiner linken Hand einfach zu ungelenk und – man muss das Kind beim Namen nennen: zu wurstig. „Dann spielen Sie einfach die leeren Saiten – den Arm immer schön lang“, sagt Theresa Heßberg und lächelt mir aufmunternd zu.
Das Fazit einer magischen Erfahrung
Das Fazit einer magischen Schnupperstunde: Ich bin geboren, um Geige zu spielen! Geahnt hatte ich das ja schon immer. Jetzt heißt es nur noch, auf die passenden, mir auf den Leib komponierten, Stücke zu warten: Feurige Phantasien für Violine in W-Dur: für Wurstfinger mit Durchhaltevermögen. Bis die geschrieben sind, übe ich vorsichtshalber schon mal auf der Luftgeige – wild und verwegen!
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 29.11.2017)