Seit mehr als fünf Jahren lebt Jeremias bei Ulrike Mohn und Bernd Lankuttis in der Neuenkirchener Bauernschaft Vinte. Nicht als leibliches oder Adoptiv-, sondern als Pflegekind. Die von allen Drei gewünschte Perspektive heißt: für immer eine Familie zu bleiben.
Ob klassische Familie mit und ohne leibliche Kinder, gleichgeschlechtliches Paar, Alleinerziehende, berufstätige oder ältere Personen – sie alle zeichnen sich für den Verbund Sozialtherapeutischer Einrichtungen (VSE) Nordrhein-Westfalen Netzwerk Pflegefamilien als potenzielle Pflegefamilien aus. „Wer gelernt hat, schwierige oder ungewöhnliche Situationen in seinem Leben zu meistern, hat oft eine besondere Stärke entwickelt“, beschreibt Christoph Ottenjann vom Netzwerk Pflegefamilien des VSE Osnabrücker Land, „und die Kinder, die wir vermitteln, haben ja in der Regel ebenfalls außergewöhnliche Erfahrungen gemacht.“ Da sei ein gerüttelt Maß an gegenseitigem Verständnis oft die entscheidende Voraussetzung für das Zusammenwachsen. Denn wer schon einmal selbst erlebt hat, mit welchen Tücken und Widrigkeiten das Leben zu spielen vermag, dem fällt es manchmal leichter, sich in die kurvige Biografie des Anderen hineinzudenken.
Auf das gemeinsame Projekt „Familie“ vertrauen
Der Kaffeetisch im Garten ist gedeckt, darauf ein großer Teller mit Kuchen, ein Schälchen Kekse, Mineralwasser, eine Flasche Saft. Drumherum sitzen Pflegevater, Pflegemutter und Pflegekind gemeinsam mit ihren Gästen und plaudern. So alltäglich und unspektakulär sich die beschauliche Szene präsentiert, so bemerkenswert ist sie. Eine Pflegefamilie zu sein, ist kein Kinderspiel. Oder besser: eine Pflegefamilie zu werden. Und auch wenn den Dreien schon nach ihrem ersten Treffen klar war, „dass es mit uns passt“, wie Ulrike Mohn, Bernd Lankuttis und der inzwischen zwölfjährige Jeremias versichern, wartete – und wartet womöglich noch – so manche Herausforderung auf sie. Jeder von ihnen bringt schließlich seine ganz eigene Geschichte mit, die von Wünschen und Erwartungen, Ängsten und Vorbehalten geprägt ist. Eine der wichtigsten Lektionen, die Jeremias und seine Eltern bisher gelernt haben, lautet denn auch: Besonders in Krisenzeiten darauf zu vertrauen, dass ihr gemeinsames Projekt „Familie“ die emotionalen Gewitter aller Beteiligten unbeschadet übersteht.
Fest in die Vinter Nachbarschaft integriert
Einmal im Monat besucht Christoph Ottenjann zur Beratung die Pflegefamilie. „In schwierigen Phasen auch häufiger“, sagt er. Dann können Ulrike Mohn, Bernd Lankuttis und Jeremias dem Diplom-Sozialarbeiter ihre Herzen ausschütten, sich Rat einholen – oder immer häufiger auch einfach gemeinsame Zeit verbringen, um dicht miteinander im Kontakt zu bleiben und sich darüber freuen, wie gut sie es miteinander erwischt haben. Denn die Phasen entspannter Normalität haben längst die Oberhand gewonnen: Genau wie seine Pflegeeltern hat Jeremias mittlerweile sein Faible für die Reiterei entdeckt, geht anderen Hobbys wie dem Turnen und dem Schwimmen nach und ist fest in die Vinter Nachbarschaft integriert.
Der Moment, in dem es „Klick“ gemacht hat
Doch so sehr sich Familienberater Christoph Ottenjann über die gelungene Vermittlung freut, bleibt eine Sorgenfalte auf seiner Stirn zurück: „Derzeit ist es leider so, dass wir viel mehr Anfragen von Seiten des Jugendamtes haben, als uns geeignete Pflegefamilien zur Verfügung stehen“, bedauert er und hofft, dass auch andere Paare oder Alleinstehende nun den Mut aufbringen, ein Pflegekind aufzunehmen. „Bevor wir ein Kind vermitteln, dauert es etwa ein halbes Jahr“, erläutert Ottenjann das Prozedere. „In dieser Zeit führen wir viele persönliche Gespräche und bereiten die potenzielle Pflegefamilie umfassend auf die bevorstehende Aufgabe vor.“ Bei Ulrike Mohn und Bernd Lankuttis verschwimmt die Erinnerung an diese Phase ihrer Familiengründung bereits. „Ich weiß nur noch, als es bei mir Klick gemacht hat“, erzählt Bernd Lankuttis, „und ich wusste: Ja, das ist es!“
Informationen zum Thema Pflegefamilien und die Vermittlung über den VSE gibt es im Internet unter www.netzwerk-pflegefamilien.de oder direkt beim Familienberater Christoph Ottenjann unter Telefon 0541/96384191.
(Erschienen in: Bersenbrücker Kreisblatt, 30.09.2017)