Während die Muttertiere noch im Morgennebel dösen, traben die ersten Lämmer bereits durchs welke Gras des Vorjahrs. Alles ruhig im Schafsrudel. Rudel?
Eine Frage der Perspektive: Denn für die dreijährige Schutzhündin, die seit einiger Zeit die Tiere von Kai Mithöfer bewacht, gehören die paarhufigen Wollwesen zur Familie: zum Rudel also. Die Wiederkäuer ihrerseits betrachten die schafsgroße Kaukasische Owtscharka Dame dagegen als Herdenmitglied. Ob Rudel oder Herde – für Schäfer Mithöfer zählt nur eines: Hauptsache, die artübergreifende Kooperation hält potenzielle Wölfe auf Abstand.
Nicht darauf warten, dass etwas passiert
„Ich wollte nicht erst warten bis etwas passiert“, erklärt der 36-jährige Settruper und lässt seinen Blick über die kahle Landschaft schweifen: abgeerntete Mähwiesen, karge Senfäcker, hier und da ein kleines Gebüsch. „Bis jetzt ist bei uns noch kein Wolf gesichtet worden“, sagt er, „aber kommen wird er. Das ist sicher.“ So wie in der Grafschaft Bentheim, im Kreis Diepholz oder im Raum Vechta. Für diese Nachbarregionen hat das Wildtier Management Niedersachsen das Vorkommen des Wolfes offiziell bestätigt.
Die wollige Verwandtschaft verteidigen
Und weil es immer wahrscheinlicher wird, dass sich Wolf, Schaf und Schäfer demnächst auch in den Weiten des Osnabrücker Landes über den Weg laufen werden, hat Kai Mithöfer vorgesorgt: Wenn seine Tiere nicht gerade mit ihm von einer Weidefläche zur nächsten ziehen, sind sie grundsätzlich hinter einem mobilen Elektrozaun eingepfercht. Nachts sowieso. Und hinter diesem fein gewobenen, orangefarbenden Maschenzaun beginnt das Revier der Owtscharka Hündin. „Owtscharkas sind speziell gezüchtete Herdenschutzhunde“, erläutert Schäfer Mithöfer: „Sie werden als Welpen innerhalb einer Schafherde geboren und komplett integriert.“ Seit zweieinhalb Jahren lebt die Hündin mit den wachen Augen, dem unerwartet scharfen Gebell und der stets abrufbaren Bereitschaft, die wollige „Verwandtschaft“ zu verteidigen, jetzt schon zwischen Mithöfers Tieren. „Sie versteht sich als Teil der Herde, ganz klar.“
Jeden Tag unterwegs
Jeden Tag zieht Kai Mithöfer mit seinen Schafen ein Stückchen weiter. Mal nur ein paar hundert Meter. Mal mehrere Kilometer. Dann wird der Elektrozaun abgebaut und in den Geländewagen verfrachtet, hinter dessen Lenkrad Mithöfers Frau Manuela sitzt. Die Owtscharka Hündin reist im Anhänger mit, während die sechs Hütehunde – emsig kläffend und immer in Bewegung – ihrem Herrchen dabei helfen, die Wiederkäuer zum nächsten Weideplatz zu treiben. „Ich habe Weiderechte unter anderem für den Fursten Forest, das Hahlener Moor und das Suddenmoor in Anten“, beschreibt Mithöfer den Einsatzradius seiner Herde. Hat die Gruppe ihr Ziel erreicht, wird der Zaun neuerlich aufgebaut – und die Owtscharka Hündin nimmt ihre Rolle als beschützendes „Oberschaf“ wieder ein.
Ein Herdenschutzhund kennt keine Kompromisse
„Mir ist es wichtig, dass die Leute über das Wesen und die Aufgabe des Herdenschutzhundes Bescheid wissen“, sagt Kai Mithöfer. „Der Herdenschutzhund ist kompromisslos, wenn es darum geht seine Herde zu verteidigen.“ Schließlich soll er sie im Ernstfall selbst vor einem Rudel Wölfe beschützen können. „Und so ein Hund unterscheidet nicht zwischen Wolf, Haustier oder Spaziergänger.“ Seine Bitte daher: „Wer in die Nähe einer Schafherde kommt, sollte möglichst viel Abstand halten und seinen eigenen Hund unbedingt anleinen.“
(Erschienen in: Bersenbrücker Kreisblatt, 22. Februar 2015)