Während ein halbes Dutzend Jugendlicher aus dem Tecklenburger Land das Angebot der Jungen Volkshochschule nutzt, sich die Grundlagen des Kellnerns anzueignen und damit den Gastronomie-Führerschein zu erwerben, erhalte ich ganz nebenbei einen Fingerzeig, mein Verhalten als Restaurantgast zu überdenken…
Wie bugsiere ich ein Tablett, auf dem sich die gefüllten Gläser drängen, sicher und elegant bis zum Tisch? Welche Details sollte ich über die Speisekarte nicht nur wissen, sondern auch an den Gast weitergeben können? Und haben eigentlich auch Schüler Anspruch auf den Mindestlohn, wenn sie in der Gastronomie aushelfen? Jede Menge Wissenswertes über Etikette, gesetzliche Vorgaben sowie handfeste Tipps zum Umgang mit Gästen und Kollegen warten an diesem Oktobersamstag nicht nur auf die angehenden Nebenjobber, sondern ebenso auf eine in Sachen Küchen- und Tischkultur bisher eher zur Lässigkeit neigende Journalistin.
Gefragtes Zertifikat als Belohnung
Wiebke startet im kommenden Jahr ihre Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau. „Da ist es bestimmt nicht verkehrt, wenn ich mich im Service schon etwas auskenne“, hat sich die 18-jährige Westerkappelnerin überlegt und den eintägigen Kurs zum Gastronomie-Führerschein bei der VHS belegt, der die Teilnehmer am Ende mit einem, bei potenziellen Arbeitgebern gefragten, Zertifikat belohnt. Und obwohl sie bisher noch keinerlei Erfahrungen in der Branche gesammelt hat, sind erste Erfolge bereits zu erkennen: Mit sicherer Hand deckt Wiebke die festliche Tafel für ein fiktives Drei-Gänge-Menü ein – die Stoffsets mit einem Zentimeter Abstand und parallel zur Tischkante, dann das Besteck für Vorspeise, Hauptgang und Dessert, sortiert von außen nach innen zum Teller hin, die Messe“R“ nach „R“echts, die Gabe“L“n nach „L“inks. Zum Schluss die Gläser in Standardformation: das Rotweinglas in Verlängerung des Hauptgangmessers, leicht versetzt das Weißwein- und ein Wasserglas. Ein letzter prüfender Blick – ist alles hübsch und symmetrisch arrangiert? Hat sie auch ja keine Fingerabdrücke zurückgelassen? Wiebke atmet auf und lächelt erleichtert: passt.
Junge Leute in die Weiterbildung bringen
„Ja, das sieht sehr gut aus“, ist auch Kursleiter Hendrik Schöpker zufrieden. Zum zweiten Mal hat der Chef des Restaurants „Esszimmer“ in Lengerich zusammen mit Jendrik Peters, Fachbereichsleiter der Jungen Volkshochschule, den Kurs zum Gastro-Führerschein organisiert. „Wir sind froh darüber, wenn wir junge Leute in die Weiterbildung bringen können“, sagt Peters und verweist darauf, dass die Wirte im Tecklenburger Land der VHS ihren Bedarf an gut vorbereiteten Aushilfen signalisiert hätten. „Wenn grundsätzliche Dinge, die im Service einfach erforderlich sind, bereits sitzen, ist das eine Erleichterung für alle Beteiligten“, unterstreicht auch Praktiker Hendrik Schöpker. Schließlich geht es im gastronomischen Alltag in der Regel recht stressig zu. Da bleibt oft nicht viel Zeit für lange Erklärungen.
Ein Nebenjob, der es in sich hat
Wer also bereits weiß, dass er sich vor seinem ersten Auftritt als Servicekraft am besten schon einmal die Speisekarte gründlich durchgelesen und einige Gerichte und Getränke als Empfehlung eingeprägt hat, ist klar im Vorteil. Ein dezentes, gepflegtes Erscheinungsbild, ein aufmerksames, zuvorkommendes Verhalten – „Wer Spaß hat am Umgang mit Menschen, sich für Lebensmittel interessiert und sich selbst zurücknehmen kann, für den ist ein Job in der Gastronomie genau das Richtige“, ermutigt Schöpker seine Schüler – vier junge Frauen und zwei junge Männer im Alter von 14 bis 18 Jahren. Allerdings: Der Job als Servicekraft ist nicht zu unterschätzen: „Ihr müsst euch sehr viel merken und legt pro Abend einige Kilometer zurück.“ Auch die Arbeitszeiten haben es in sich: Aushilfen in der Gastronomie werden vor allem abends eingesetzt, vorzugsweise an Wochenenden und an Feiertagen.
Von Mindest- und Tariflöhnen
Zwar seien Personen unter 18 Jahren, Schüler und Studenten vom Mindestlohn, der derzeit in Deutschland bei 9,25 Euro pro Stunde liege, ausgenommen – „Aber ich kenne viele Wirte, die trotzdem den Mindestlohn bezahlen, weil sie wissen, wie anstrengend die Arbeit im Service ist“, versichert der Gastro-Profi. Der von der Gewerkschaft ausgehandelte Tariflohn, der auch für Jugendliche gelte und nicht unterschritten werden dürfe, liege bei 7,50 Euro pro Stunde.
Über das Gleichgewicht und dessen Störung
Doch zurück ins Getümmel der sportlich-charmanten Dienstleisterei, bei der also nicht nur gutes Schuhwerk, sondern auch stählerne Nerven vonnöten sind. Denn hat die Aushilfe das schwere Tablett mit den Getränken erst einmal mühevoll bis zum Tisch geschaukelt, gebe es immer einen – in der Regel weiblichen – Gast, wie Hendrik Schöpker schmunzelnd bemerkt, der helfen wolle und die gefüllten Gläser vom Tablett heruntergreife. Kurzer Blickkontakt zur Journalistin, als hätte er es geahnt. Ich lächle dem Gastwirt zu und nicke: Auch Gäste können schließlich zuvorkommend sein, oder? „Das ist sicherlich nett gemeint“, tranchiert Schöpker meine Illusion von Höflichkeit, „aber dadurch gerät das Gleichgewicht auf dem Tablett völlig durcheinander – was oft genug zur Katastrophe führt…“
Lektionen fürs Leben…
Tabletts balancieren, Bestellungen aufnehmen, das Essen auftragen, drei Teller sicher auf einmal servieren, deutlich sprechen, im Zweifelsfalle nachfragen, alle Dinge möglichst am Tisch klären, freundlich sein und freundlich bleiben – Wiebke und Johanna-Nele, Sophia und Quentin, Hendrike und Daniel haben vieles gelernt an diesem Oktobernachmittag. Einiges für ihren künftigen Nebenjob, manches wohl auch fürs Leben. Denn ein Satz von Hendrik Schöpker klingt uns allen noch nachhaltig in den Ohren: „Der Knigge des Kellners, der sollte eigentlich für jeden Menschen gelten.“
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 18.10.2017)