Ausgeschlossen von Kurzweil und Lebensart, musste mein vierräderiger Gefährte bisher in finsteren Tiefgaragen und engen Parkhäusern ausharren, während ich mich andernorts vergnügte. Heute tankt der treue Bolide zum ersten Mal selber Kultur – mittendrin im Autokino.
Als ich meinen Wagen auf die riesige Schotterfläche im Outback von Mettingen lenke, sieht es hier allerdings noch so gar nicht nach multimedialem Event aus. Unspektakulär dämmert das zum Parkplatz umfunktionierte Betriebsgelände von Lohnunternehmer Herbert Seifert in der untergehenden Sonne vor sich hin. Außer einem Getränkewagen nebst Bierzeltgarnitur und der mobilen Pommesbude lässt nichts auf ein cineastisches Großereignis schließen.
Vier Filme für das motorisierte Publikum
„Noch zu früh“, zeigt sich Johanna Stockreiter unbeeindruckt von der gähnenden Leere. Seit fünf Jahren organisiert die gelernte Industriekauffrau in Kooperation mit der örtlichen Wirtschaftsförderung das Autokino Mettingen. Jeweils an zwei Wochenenden im Spätsommer präsentieren sie und ihre rund 20 ehrenamtlichen Mitstreiter dem motorisierten Publikum insgesamt vier Filme: „Das Programm wählen wir selber aus“, sagt die 22-Jährige. Und ihre Kollegin Andrea Höpfner ergänzt, dass der bisherige Zuschauerrekord im vergangenen Jahr bei knapp 250 Fahrzeugen bei einer Vorführung gelegen habe.
Wer zuerst kommt, mahlt zuerst?
250 Fahrzeuge? Ich lasse meinen Blick mit aufsteigender Unruhe über das Areal flattern. Gibt es im Autokino eigentlich so etwas wie Platzkarten, frage ich mich, oder gilt hier das Motto: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst? Kai Beckemeier vom Organisationsteam schüttelt gelassen den Kopf: „Weder noch – wir weisen jeden einzelnen Fahrer ein und achten darauf, dass alle eine gute Sicht auf die Leinwand bekommen.“
Digitale Technik mit allem Zipp und Zapp
Jan Mönkediek und Leonard Stockreiter haben mittlerweile das Gebläse angeworfen, das den Rahmen für die Leinwand mit Luft füllt. „Das funktioniert ähnlich wie bei einer Hüpfburg“, erklärt mir Jan Mönkediek und beobachtet aufmerksam, wie sich die acht mal elf Meter messende Projektionsfläche entfaltet und aufrichtet. Etwa 70 Meter entfernt befindet sich das Equipment von Jörg Prause, Betreiber der Firma Moving Movies aus Münster: ein Anhänger voller digitaler Kinotechnik inklusive Projektor und allem Zipp und Zapp. Prause schleppt emsig Gerätekoffer und Stative hin und her. Der Ton zum Film wird später auf einer definierten Frequenz gesendet und ist dann bequem über das Autoradio zu empfangen. Zusätzliche Lautsprecher sorgen dafür, dass auch das Gastro-Team im – genau wie die hungrigen Zuschauer am – Imbisswagen nichts verpassen.
In der Karawane der Unterhaltungswilligen
Kaum hat die Sonne den Horizont berührt, beginnt sich die mit Flatterband abgesteckte Einfahrtsgasse zu füllen: Kleinwagen, Limousinen, Cabrios, Geländefahrzeuge, Transporter. Sogar ein Schlepper samt komfortabel bestuhltem Zweiachser tuckert fröhlich näher: die Landjugend. Etwas aufgeregt reihen sich nun auch der Fiat und ich in die Karawane der Unterhaltungswilligen ein. Doch noch haben Johanna Stockreiter und ihre Crew den Hauptplatz nicht freigegeben, sodass genügend Zeit bleibt, den Motor erst einmal wieder auszustellen und sich die Füße zu vertreten. Im Wagen vor mir freuen sich zwei junge Frauen aus Voltlage auf den Blockbuster in der Provinz. Auch für sie, erzählen mir die beiden durchs geöffnete Fenster, sei es der erste Besuch in einem Autokino. Mit Pizza to go und kuscheligen Wolldecken haben sie sich auf einen gemütlichen Abend eingerichtet.
Entspannte Dorffeststimmung
Jungen und Mädchen im Kindergartenalter spielen Ball zwischen den parkenden Fahrzeugen, während ihre Eltern angeregt plaudernd den lauen Septemberabend genießen. Am Imbissstand reichen die Helfer Currywurst, frisch zubereitetes Popcorn und jede Menge Kaltgetränke über den Tresen. Aus den Lautsprechern dudelt Easy-Listening. Es herrscht entspannte Dorffeststimmung. Der eine oder andere poliert noch einmal rasch die Frontscheibe seines Fahrzeugs. Ein Großteil der Wagen ist gut besetzt. Ich mache viele junge Familien aus, etliche davon haben ihren Nachwuchs in der Sitzschale dabei. „Ins Kino könnten wir das Baby nicht mitnehmen – aber hier im Auto ist das gar kein Problem“, erklärt mir eine gut aufgelegte Mutter, die sich auf ein paar Stunden außerhäusige Freiheit freut. Ein Blick auf die Kfz-Kennzeichen deutet auf den überregionalen Bekanntheitsgrad hin, den das Mettinger Autokino inzwischen genießt: Außer aus dem Kreis Steinfurt sind auch Gäste aus dem Osnabrücker Land, aus Cloppenburg, Leer, Gütersloh, Neuss, Celle, Oldenburg und Lüneburg vertreten.
Organisationsteam stets Herr der Lage
Der lilafarbene Mitsubishi vor mir fährt an. Die Nase dicht an der Stoßstange unseres Vordermanns, rollen auch der Fiat und ich dem Spektakel entgegen. Kurz vor dem Parkplatz fächert die Mannschaft um Kai Beckemeier die Schlange in drei Arme auf – so ist die Auswahl an Fahrzeugtypen größer. „Ich brauch noch einen Flachen“, schnarrt es durchs Funkgerät, und schon lotst Beckemeier einen tiefliegenden Volvo zu seinem Kollegen. Vans und Traktoren nach hinten, für den gelben Fiat findet sich ein Platz im vorderen Randbereich – das Organisationsteam erweist sich als umsichtiger Herr der Lage, behält konsequent die Ruhe und dirigiert und formiert die rund 200 Fahrzeuge souverän in Position.
Persönliche Marotten erlaubt
Motor und Standlicht aus-, Radio einschalten, zurücklehnen und genießen. Das Pärchen im Opel neben mir macht unverdrossen Selfies, die Leinwand im Hintergrund. Vor mir tragen ein Vater und eine Mutter ihre wenige Wochen alten Zwillinge von der Rückbank zu sich auf die Vordersitze. Familienkuscheln scheint angesagt. Ich schnappe mir das Mobilphone und rufe auf ein Pläuschchen zuhause an. Warum? Weils geht! Denn die kleinen Marotten, die im normalen Kino verpönt sind, lassen sich im Autokino problemlos ausleben. Reden, Rülpsen, Pommes Majo futtern. Nächstes Jahr, beschließe ich, lade ich außer dem Fiat auch noch meinen Hund auf eine Portion Kultur ein. Am besten zu einem niedlichen Tierfilm ohne Altersbeschränkung – denn während sich der Fiat an den PS-strotzenden Action-Szenen zu ergötzen scheint, hat mein sensibler Vierbeiner doch eher schwache Nerven.
(Erschienen in Neue Osnabrücker Zeitung, 27.09.2017)