Hermann Meyer drückt sich an den Rand der Tanzfläche. Ganz schön viel los im Saal des Bürgerhauses in Hagen: Jan (27 Jahre) und Annika (27) aus Hagen, Ulla (60) und Heiner (54) aus Osnabrück, Anja (50) und Dirk (50) aus Bissendorf, Martina (49) und Johannes (50) aus Georgsmarienhütte – 15 Paare kreiseln und hopsen, drehen und schieben, je nach Vorkenntnissen, über das Parkett. Der Vorsitzende des TSC Hagen weicht geschickt zwei voller Elan heran wirbelnden Gestalten aus: „Das sind alles neue Gesichter“, sagt er und nickt vergnügt. Seit drei Wochen bietet der TSC immer mittwochs von 21 bis 22 Uhr eine zusätzliche Gruppe für Einsteiger und Fortgeschrittene an. Während viele Vereine alle Hände voll damit zu tun haben, ihre bestehenden Mitgliederzahlen zu halten, begrüßen Meyer und seine leichtfüßigen Kollegen regelmäßig weiteren Zuwachs – was den TSC mit 243 Aktiven zu einem der größten Tanzsportclubs in Niedersachsen macht.
Schwungvolle Präzision
Heiko Kreimeier hält seine Partnerin sicher im Arm. Die Körperspannung ist vorbildlich. Und wenn die beiden loslegen – „Eins-zwo-drei, Cha Cha Cha, zwo-drei, Cha Cha Cha, zwo-drei…“ – ruhen sämtliche Blicke auf ihnen. Oder genauer gesagt: auf ihren Füßen. Denn an der schwungvollen Präzision, mit der die Übungsleiter ihre Bewegungen koordinieren, erkennt selbst das ungeschulte Auge mehr als solide Könnerschaft. Was das Ehepaar, beide ehemalige Turniertänzer, aufs Parkett zaubert, könnte manchen Anfänger durchaus einschüchtern. Doch Hermann Meyer, selbst seit 28 Jahren auf glatten Sohlen unterwegs, sorgt schon dafür, dass hier keiner erblasst oder gar erstarrt: „Wir sind keine Tanzschule, sondern ein Sportverein“, definiert er das Selbstverständnis und lächelt verschmitzt, „nach so einer Übungsstunde müssten die Leute eigentlich duschen.“
Im eigenen Tempo
Also, nicht lange zaudern – für Unsicherheit und Zurückhaltung besteht keinerlei Anlass: „Slow slow, quick quick – und kreisen!“ Britta und Heiko Kreimeier demonstrieren die nächste Herausforderung: den Quickstepp. Die meisten Wiedereinsteiger erinnern sich dunkel – da war doch mal was…? „Wir fangen erstmal ganz langsam an“, nehmen sich die Übungsleiter betont viel Zeit – sowohl für die Gruppe, als auch für jedes einzelne Paar. „Jeder hat ein anderes Lerntempo“, sagt die versierte Profitänzerin, „deshalb legen wir großen Wert auf das regelmäßige Wiederholen der Grundschritte.“
In Wanderschuhe und Stilettos
In Turn- und Tanzschuhen, Stilettos und Sneakers positionieren sich die Frauen auf der einen Seite des Saals um Britta Kreimeier herum, während sich die Männer – in Leder- und Lack-, Straßen- oder Wanderschuhen – gegenüber bei ihrem maskulinen tänzerischen Pendant versammeln. Trockenübungen sind angesagt. Die Stimmung ist locker. Ein gewisser sportlicher Ehrgeiz bei den Teilnehmern aber durchaus zu spüren. „Wir sind ja schließlich hergekommen, weil wir das lernen wollen“, sagt Ludger (57) aus Hagen. Seine Frau Marion (55) nickt ihm gutgelaunt zu. „Slow slow, quick, quick… nochmal!“ Die ersten Wangen röten sich.
Schnuppern erlaubt
Das sei einer der großen Vorteile des Sportvereins, wirft Vorsitzender Meyer ein: Anders als bei einem zeitlich begrenzten Kurs, bei dem ja immer der Druck bestehe, das Pensum an Standardtänzen innerhalb einer begrenzten Zeit zu vermitteln, sei das Angebot des TSC offen. Wer sich nach ein paar Schnupperstunden entschließe, langfristig in die Welt der rhythmischen Schrittfolgen einzutauchen, bekomme dann einen Mitgliedsantrag zum Ausfüllen.
Training auch für das Gehirn
Tanzen ist trendy, gesund und paarkompatibel. „Wer tanzt, verringert das Risiko an Alzheimer zu erkranken um 76 Prozent“, sagt Hermann Meyer. Aber das stärkste Argument für das harmonische Schweben zu Zweit lässt sich am Ende der Stunde in den Gesichtern der 30 Teilnehmer ablesen: Tanzen macht einfach Spaß.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 30.04.2016)