Eselfreunde aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden haben sich in Hasbergen getroffen, um für mehr Verständnis für ihre Tiere zu werben. Neugierig mische ich mich unter die oft verkannten Vierbeiner.
Sich auf eine regennasse Holzbrücke wagen? Durch einen Vorhang aus bunten, wild im Wind flatternden Bändern hindurchgehen? Im schwarzen Nichts des Transportwagens verschwinden? Erst mal die Situation auf sich wirken lassen. Nachdenken. Handlungsspielräume erkennen. Alternativen abwägen. Nochmal nachdenken. Etwas mit den Ohren wackeln. Und schließlich – die richtige Entscheidung treffen. Und das alles mit dieser unnachahmlich lässigen Entschlossenheit. Wer einem Esel beim Problemlösen zusieht, braucht Geduld. Wird aber mit einer zunächst amüsant zu betrachtenden, dann zunehmend beeindruckenden Lektion in Sachen Zielstrebigkeit belohnt. Auch was die Vielfalt seiner Talente angeht, habe ich den einstigen Geröllwüstenbewohner bisher offenbar unterschätzt.
„Man kann mit Eseln Wandern gehen oder längere Trekkingtouren unternehmen“, klärt mich Andrea Wiesner vom Tiererlebnishof in Seeste auf, während sie Ali behutsam die Trense über seine plüschigen Lauscher streift, „man kann Bodenlektionen mit ihnen trainieren, und je nachdem, wie kräftig er ist, kann man den Esel vor die Kutsche spannen, ihn reiten, und kleinere Kinder können sogar auf ihm voltigieren.“ Auch als Landschaftspfleger wird der Esel geschätzt. Außerdem würden die sanftmütigen Vierbeiner wegen ihres umgänglichen Wesens gerne für tiergestützte Therapien eingesetzt, berichtet die Westerkappelnerin – „oder einfach nur zum Spielen und Liebhaben gehalten“.
Überzeugen statt erzwingen
Einmal im Jahr treffen sich die Mitglieder der „Interessengemeinschaft für Esel- und Mulifreunde in Deutschland“ (IGEM) und führen vor, welche Aufgaben die sympathischen Langohren zu erfüllen bereit sind, wenn sie denn von ihren menschlichen Zweibeinern artgerecht gehalten und fürsorglich behandelt werden. „Ein Esel lässt sich zu nichts zwingen“, erklärt Angela Baumann-Jost, „er will überzeugt werden.“ Gemeinsam mit ihren Kollegen Gerd Saretzki und Sabine Beerhenke kommentiert die Wertungsrichterin aus Offenbach äußere Gestalt, gesundheitlichen Zustand sowie die Umgänglichkeit der vorgestellten Tiere.
„Natürlich gibt es für den schönsten Esel am Ende auch eine Schleife“, sagt Baumann-Jost, „aber die Exterieur-Schau dient in erster Linie dazu, den Haltern aufzuzeigen, für welchen Einsatz ihr Esel aufgrund seiner Statur besonders geeignet ist – und für welchen nicht.“ Denn ein Tier sollte nur entsprechend seiner körperlichen Voraussetzungen genutzt werden – sonst besteht die Gefahr von frühzeitigem Verschleiß und Schmerzen. Bei der IGEM, betont Angela Baumann-Jost, stehe der Tierschutzgedanke ganz klar im Vordergrund.
Über Beruf und Berufung
Auch Andrea Wiesners Tochter Merle präsentiert ihren Eselwallach den geschulten Blicken des Richter-Teams. Die lassen sich von der 13-Jährigen erst einmal erzählen, was Ali denn „von Beruf“ sei. „Wir üben Zirkustricks“, berichtet die junge Eselfreundin, „aber am liebsten rennt er über die Wiese oder geht mit uns spazieren.“ Gerd Saretzki tastet sachte über Alis Rücken und an seinen Beinen entlang. Ein Blick auf Gebiss und Hufe darf nicht fehlen. Und auch Alis Gänge schauen sich die drei Eselexperten aufmerksam an: Schwingt der Rücken mit? Hält Ali beim Traben die Beine gerade? Das Fazit der Richter: Die Wiesners haben die Stärken ihres Herdengenossen genau richtig erkannt – aufgrund seiner Bewegungsfreudigkeit sei er der ideale Partner zum Wandern.
Doch auch beim Flanieren durch die Landschaft oder über das Außengelände des gastgebenden Reit- und Fahrvereins Hasbergen frönt das gemütliche Langohr unermüdlich seiner Leidenschaft – und denkt über alles, was ihm da auf seinem Weg begegnet, gründlich nach. Als „eingeschränktes Fluchttier“ breche der Esel eben nicht, wie zum Beispiel das Pferd, bei der erstbesten Gelegenheit in Panik aus, verweist Eseltrainerin und Eselbuchautorin Judith Schmidt auf dessen – stets um das passende Verhalten bemühte – Veranlagung. Ein Esel frage sich ständig, ob er mit Angriff oder Flucht auf die jeweiligen Umstände reagieren solle – und legt bei einer besonders ambivalenten Gemengelage eine strikte Denkpause ein.
Mutig und mit Bedacht
Mit welch bewundernswerter Konsequenz er dabei vorgeht, können die Besucher beim Hindernisparcours verfolgen: Von seinem Menschen am Strick geführt, muss das Tier zehn Aufgaben bewältigen. Dabei liegt der Fokus nicht, wie bei Pferdeturnieren, auf Zeit und Leistung – die Hürden sollen vielmehr „esel-like“, also „in Eselmanier“, bewältigt werden. Sprich: stressfrei, mutig und mit Bedacht. Ob Wassergraben oder schrill gemusterter Teppich, Flatterbandtor oder Kanaldeckel – für Andrea Wiesner, ihre Töchter Merle und Lotta und ihre Esel Ali, Ravenna und Carmen stellt die vermeintlich furchteinflößende Kulisse keinerlei Schwierigkeit dar. „Bei der Bodenarbeit kommt es vor allem auf das Vertrauen zwischen Esel und Mensch an“, sagt Andrea Wiesner.
Persönliches Fazit: Von Eseln lernen heißt, den Herausforderungen des Alltags mit mehr Gelassenheit begegnen. Ab sofort werde ich meine Probleme einfach aus der Eselperspektive betrachten, nehme ich mir vor: mit Muße, Umsicht und Besonnenheit. Bloß das „Mit-den-Ohren-Wackeln“, das muss ich noch üben…
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung: 23.08.2017)