Irgendwer hat immer die Augen zu. Ein anderer schneidet Grimassen. Oder guckt verstört in die falsche Richtung. Menschen, zumal in Gruppen, mit der Kamera festzuhalten, ist ein hartes Brot. Dass aber auch Pflanzen keine konfliktfreie Klientel bilden, lerne ich beim Workshop von Gartenfotografin Marion Nickig.
Regelmäßig ächzt die Essenerin schwerbeladen mit Fototasche, Stativ und allerlei weiterem Zubehör durch den Kreislehrgarten in Steinfurt. Denn selbst für jemanden, der im Auftrag von Lifestyle-Magazinen, Fachzeitschriften und Buchverlagen halb Europa bereist und somit die Abbilder der botanischen Quintessenzen von England über Frankreich bis nach Italien in seiner Westentasche, oder besser gesagt: auf dem Speicherchip, mit sich herumträgt – selbst ein solcher Profi findet auf dem rund drei Hektar großen Areal des 1914 angelegten Demonstrations- und Schulgartens im Münsterland – immer noch und immer wieder – lohnende Motive.
Wenn die Sonne die Farben auffrisst
Kekse knabbernd sitze ich inmitten eines Dutzends wissensdurstiger Foto-Enthusiasten im Kötterhaus des Lehrgartens und blicke besorgt aus dem Fenster: Zwar hat uns Marion Nickig gerade erklärt, dass grelles Sonnenlicht bei der Naturfotografie tunlichst zu meiden sei, weil es die Farben auffresse und am Ende statt eines leuchtenden Blütenmeeres nur lauter weiße, nicht zu druckende Löcher im Bild hinterlasse – doch das Potpourri aus Wolkenbruch, Nieseldusche und Schauerregen, das sich an diesem Sommertag über dem Kreislehrgarten ein Stelldichein gibt, dürfte eine optimale Ausleuchtung ebenfalls entschieden verwässern.
Zeitliche Flexibilität und engelsgleiche Geduld
Das Gute am westfälischen Schietwetter: Es verdeutlicht uns Teilnehmern am Workshop „Blütenpracht perfekt ins Bild gerückt“ immerhin hübsch anschaulich, mit welchen Tücken ein Gartenfotograf zu kämpfen hat. Wie begegnet man als Profi den Widrigkeiten der Witterung – insbesondere, wenn einem der Auftrag eines Kunden im Nacken sitzt? „Im Extremfall helfen einem da nur zeitliche Flexibilität und eine engelsgleiche Geduld“, seufzt Marion Nickig. Auch eine einigermaßen zuverlässige Wetter-App habe sie zu schätzen, sowie sich vor allzu festen Terminen zu hüten gelernt. Wenn es lediglich um das Detail einer einzelnen Blüte gehe, verrät sie, lasse sich die Pflanze auch schon einmal in einer Vase stehend im Innenraum in Szene setzen – in der Regel bevorzuge sie aber die natürliche Umgebung und vor allem: das natürliche Tageslicht. „Eine gute Aufnahme erfordert oft einen ungeahnten Aufwand“, weiß Marion Nickig aus langjähriger Erfahrung.
Aus dem Nähkästchen der Erfahrung geplaudert
Während draußen also der Regen auf Dahlien, Rosen und Apfelbäume prasselt und sich drinnen die Schälchen mit dem Schokogebäck leeren, plaudert Marion Nickig – mit bereits besagter Engelsgeduld – aus dem Nähkästchen ihrer Erfahrung: Welches Objektiv sollte für welches Motiv eingesetzt werden? Welche Blenden bewirken bei der Pflanzenfotografie welche Effekte? Was ist beim Bildaufbau zu beachten? Aus welchen Perspektiven entstehen Eyecatcher? „Besonders wichtig finde ich, dass Sie Ihre Aufnahme so bewusst wie möglich anlegen – bloß nicht wie zufällig im Vorbeigehen“, schärft Nickig immer wieder den Blick sowohl für die Details als auch für die Gesamtkomposition.
„Das Foto ist gnadenlos“
Denn ganz egal, ob wir mit dem Makro-Objektiv die filigrane Ästhetik einer Blüte oder mit dem Weitwinkel die architektonische Raffinesse einer Parklandschaft einfangen – „Die Kamera erfasst eine Szene anders, als unser Auge sie wahrnimmt“, gibt die Fachfrau zu bedenken, „und das Foto ist gnadenlos.“ Wer beim Panoramabild den störenden Mülleimer im Hintergrund übersieht oder sich bei einer Nahaufnahme durch ein nicht sanft aus dem Fokus gebogenes welkes Blatt die Aufnahme verdirbt – dem könnte bestenfalls dann nur noch die anschließende Bildbearbeitung aus der Misere helfen. „Aber die kostet viel Zeit“, merkt Nickig an, „und weil ich meine Zeit lieber in den Gärten als vor dem Bildschirm verbringe, bemühe ich mich, von vornherein jede Aufnahme möglichst perfekt zu gestalten.
Eine „Wolke to go“ und die Sonne in der Tasche
Als unverzichtbare Hilfsmittel fischt sie einen zusammenfaltbaren Reflektor und einen ebensolchen Diffusor aus ihrer Zubehörtasche. Mit dem Erstgenannten wird das Sonnenlicht auf die schattigen Bereiche umgelenkt. Wohingegen der mit einer transparenten Gardine bespannte Diffusor als „Wolke to go“ bei zu harten Lichtverhältnissen eingesetzt wird. Außerdem rät die Fotografin dazu, stets eine Sonnenblende zu benutzen, um störende Reflexionen im Objektiv zu vermeiden. Auch ein Mikrofasertuch zum Reinigen der Linse gehöre unbedingt zum Equipment. Stativ und Fernauslöser hätten sich ebenfalls bewährt.
Keine konfliktfreie Klientel …
Am Ende lichten sich dann doch für einen kurzen Moment die Wolken – und wir strömen mit gezückten Kameras hinaus in die frisch gewaschene Botanik, um das Gelernte anzuwenden. An Motiven mangelt es im Kreislehrgarten wahrlich nicht. Während die sanft geschwungene Holzbrücke über der impressionistisch inspirierten Teichanlage in stoischer Gelassenheit posiert, ziert sich eine in apartes Violett getauchte Einzelpflanze allerdings beharrlich – und schwankt, den Autofokus meiner Olympus schier in den Wahnsinn treibend, im Wind hin und her. Als ich die Aufnahme schließlich im Kasten habe, meine ich ein kokettes Murren aus dem Staudenbeet zu vernehmen: „Auf Fotos sehe ich immer so schlecht getroffen aus“, beschwert sich die violette Diva und wendet ihre Blüten, geschickt eine Böe nutzend, von mir ab.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 08.2017)