Kaya Brand ist freischaffende Hebamme – wohl eine der ältesten beruflichen Domänen, die von Frauen aufgebaut und verteidigt worden sind. Über Tausende von Jahren. Doch erhöhte Haftpflichtversicherungen machen immer mehr Hebammen zu Verliererinnen.
„Was? Du hast früher Hausgeburten betreut?“ Sina Kramer, die ihre beiden Töchter Zoe (5 Jahre) und Leonie (6 Wochen) im Osnabrücker Klinikum zur Welt gebracht hat, schüttelt ungläubig den Kopf. „Das wäre ja nichts für mich… ist das denn überhaupt sicher?“ Kaya Brand lächelt still. So ein warmes, entspanntes, in sich ruhendes Lächeln, in dem sich Wissen und Erfahrung und viele schöne Erinnerungen widerspiegeln. „Natürlich ist das sicher“, sagt die 34-Jährige, die seit fünf Jahren eine eigene Hebammen-Praxis in Westerkappeln betreibt, und nickt energisch: „Wenn die Schwangerschaft bis dahin unauffällig verlaufen ist und die Frau für sich entschieden hat, dass das das Richtige für sie ist – warum denn nicht? Ihre Hebamme ist ja die ganze Zeit dabei.“
Auf dem Sofa zur Welt gekommen – wo denn sonst?
Meine Freundin Stephi hat Ende der 1990er Jahre ihre beiden Söhne zuhause auf der Wohnzimmer-Couch geboren. Bewusst. Geplant. Wohlüberlegt. Auch meine Mutter, steuert meine Oma in westfälischer Bodenständigkeit zum Thema bei, sei selbstverständlich auf dem heimischen Sofa zur Welt gekommen (Mitte des vergangenen Jahrhunderts) – wo denn sonst? Ich dagegen bin eine Klinikgeburt (Jahrgang 1968) – das sei damals völlig normal gewesen, entgegnet meine Mutter, da sei ihr gar nicht der Gedanke gekommen, das ärztliche Prozedere in Frage zu stellen.
Versicherungsbeiträge sind immens gestiegen
In Berlin, wo Kaya Brand nach ihrer Ausbildung vor rund zehn Jahren als freiberufliche Hebamme tätig war, seien Hausgeburten zu ihrer Zeit ebenfalls keine Seltenheit gewesen, erzählt sie. Die Hebammen hätten es sich damals noch leisten können, auch außerklinische Geburtshilfe anzubieten. „Doch dann sind die Haftpflichtversicherungen für Geburtshilfe, die nicht in einer Klinik erfolgt, extrem angestiegen und unerschwinglich für die meisten von uns geworden.“ Rund 7600 Euro im Jahr müsste Kaya Brand inzwischen an Versicherungsbeitrag bezahlen, wenn sie das, was sie am liebsten tut und weswegen sie Hebamme geworden ist, uneingeschränkt betreiben wollte: Frauen nicht nur vor und nach, sondern vor allem: bei einer Geburt zu beraten und zu begleiten. Und zwar ohne die Vorgabe: Endstation Klinik-Kreißsaal.
Das Leben bleibt unberechenbar
Fasziniert von den Berichten meiner Freundin Stephi und beeindruckt von der unaufgeregten Selbstverständlichkeit, mit der sie in der Vertrautheit des eigenen Nestes ihren Nachwuchs zur Welt gebracht hat – wollte auch ich, als es soweit war, unbedingt das Wohlbehagen einer Hausgeburt erfahren. Aber das Leben – ob werdend oder seiend – ist und bleibt unberechenbar: Sowohl mein Sohn als auch meine Tochter haben das Licht der Welt in Form der gleißenden Scheinwerferstrahlen eines Operationssaals per Kaiserschnitt erblickt.
Dem eigenen Gefühl vertrauen
Kaya Brand schaut vom Wohnzimmer aus in den von der Sommersonne beschienenen Garten der Familie Kramer. „Du hättest Leonie zum Beispiel auch hier draußen unter freiem Himmel bekommen können – vielleicht in einem Pool“, sinniert sie, sieht in die staunenden Augen von Sina Kramer und lacht amüsiert auf. „Es ist völlig in Ordnung, dass du sie in der Klinik bekommen hast“, versichert sie. „Ich fände es allerdings nur fair, wenn eine Frau die Wahl hätte, wie und wo sie entbinden will.“ Im heimischen Umfeld. In einem Geburtshaus. Oder im Krankenhaus. Das sei auch eine Frage des weiblichen Selbstverständnisses. „Als Hebamme habe ich die Aufgabe, Frauen darin zu bestärken, auf sich selbst zu vertrauen, auf ihre eigene Wahrnehmung und ihre Kraft.“
Gespräche über Mutterglück und Pups-Globuli
Stärke und Selbstvertrauen umströmen auch Sina Kramer. Die nun seit sechs Wochen zweifache Mutter, ist zum einen durch ihre Älteste eine „erfahrene Häsin“, zum anderen hat sie sich im Vorbereitungskurs bei Kaya Brand auf die Geburt ihres zweiten Kindes eingestimmt. An diesem Morgen schaut die Hebamme zur Nachsorge bei ihr vorbei. Die Krankenkassen bezahlen bis zu zwölf Wochen nach der Geburt regelmäßige Hebammenbesuche, deren Anzahl variieren kann. Entspannt sitzen die beiden Frauen auf dem Sofa und tauschen sich aus: über Leonies Gewichtszunahme, über abgeklungene Verdauungsbeschwerden, Pups-Globuli und Kirschkernkissen, anstehende Impfungen und lästige Neugeborenen-Akne. Die kleine Person, um die sich das Gespräch dreht, schlummert derweil tief und fest in Sichtweite ihrer Mutter in einem Gitterbettchen.
„Die Kinder einfach nur lieb haben“
„Meine Tochter ist heute um 4.20 Uhr aufgewacht…“, seufzt Sina Kramer, „wenn’s geht, sollten wir sie jetzt noch nicht wecken…!“ Während der süße Wonneproppen, nachdem er des Nächtens gestillt, gewickelt und ausgiebig geknuddelt worden und anschließend wieder eingedöst ist, hat seine Mutter seitdem keinen Schlaf mehr gefunden. Sina Kramer zuckt die Schultern, verkneift sich ein Gähnen und sieht ihren süßen Unschuldsengel verzückt an: „Man bekommt seine Kinder doch, um sie einfach nur lieb zu haben“, sagt sie.
Den Schatz an Weisheit und Erfahrung heben
Dennoch ist die Mutterschaft oft eine echte Herausforderung: Rund um die Uhr topfit sein? Wie aus dem Ei gepellt aussehen? Immer alles im Griff haben? Keine Schwäche, keine Unsicherheiten – und erst Recht keine Fehler zulassen? „Manchmal macht man es sich als Mutter auch bloß unnötig schwer“, sagt Sina Kramer kopfschüttelnd und erntet für diese Erkenntnis ein zustimmendes Nicken von ihrer Hebamme. Denn auch, wenn Kaya Brand sich wegen der schwierigen Zeiten für ihren Berufsstand derzeit auf Geburtsvorbereitung, Wochenbettbetreuung, Nachsorge und Rückbildungskurse beschränkt, verfolgt sie ihre Mission doch unbeirrt weiter und wird nicht müde „ihren“ Müttern zu vermitteln, was für einen Schatz an Lebenserfahrung, Kompetenz und Weisheit in einer jeden von ihnen steckt. „Einige Mütter brauchen lediglich etwas Hilfe, diesen Schatz zu entdecken und auf ihn zu vertrauen“, sagt Kaya Brand – und wieder breitet sich dieses zuversichtliche Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
(Erscheint in: Neue Osnabrücker Zeitung, 02.08.2017)