U wie Uferschwalbe und H wie Heidenelke

Wer Anderen die biologische Vielfalt nahe bringen will, sollte sich zunächst selbst ganz dicht in die Natur hinein begeben. „Auf die eigenen Knie zu gehen und sich auch mal zum Affen zu machen, eröffnet neue Dimensionen“, spornt Björg Dewert vom Verein „Natur unterwegs“ (Zweite von rechts) uns an. Foto: Ulrike Havermeyer

Gestatten, Havermeyer, Diversitäts-Botschafterin. Klingt spannend, oder? Aber was bedeutet eigentlich Diversität? In einem Workshop erklärt Wildnispädagogin Björg Dewert, was es mit der biologischen Vielfalt auf sich hat – und wie sie sich vermitteln lässt.

Wer seinen Mitmenschen, egal ob Landfrauen, Drittklässlern oder Kommunalpolitikern, die Natur nah bringen will, der macht das am besten spielerisch, so viel wird schon in der Vorstellungsrunde klar. Björg Dewert zeigt uns, wie es funktioniert: Björg mit B wie Buschwindröschen und Dewert mit D wie Distelfalter. Wer seinen Namen mit heimischen Tier- und Pflanzennamen verknüpft, der ahnt nämlich schon mal, wie dicht und üppig, bunt und vielgestaltig das Netz jener Diversität gewoben ist, um die sich hier alles drehen soll.

Artenvielfalt ist Lebensqualität

Ein leichtpfotiger Feldhase. Ein wachsames Rebhuhn. Die knallrote Blüte des Klatschmohns. „Artenvielfalt ist Lebensqualität“ steht auf dem Aufkleber, der auf einem der rustikalen Holztische im Lernstandort des Vereins „Natur unterwegs“, für den die Seester Natur- und Wildnispädagogin tätig ist, ausliegt. Und damit ist die wesentliche Botschaft auch schon auf den Punkt gebracht: Je bunter das Treiben in einem Biotop und je vielfältiger die Lebensgemeinschaft, desto stabiler und  weniger anfällig gegenüber Störungen ist das Ökosystem.

Aufkleber des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz.

Der Natur zunehmend entfremdet?

Allerdings: Die meisten von uns nehmen den Reichtum der Natur, der uns umgibt – kurzum: die Diversität, gar nicht so recht wahr. „Die Leute denken – oh, es ist grün, dann ist es wohl Natur; oder – oh, es piept, dann ist es wohl ein Vogel“, beschreibt Björg Dewert ihre Erfahrungen, die sie im Laufe der Jahre mit, ihrer Umwelt zunehmend entfremdeten, Besuchern gesammelt hat. Auch mein Wissen in Sachen Flora und Fauna ist begrenzt – ob ich mich überhaupt zur Diversitäts-Botschafterin eigne?

Die Mission: Sensibilisieren und begeistern

„Unsere Natur braucht jede Hilfe, die sie kriegen kann“, ermuntert Björg Dewert jeden zum Mitmachen. Und Esther Susewind von der Unteren Landschaftsbehörde des Kreises Steinfurt – mit E wie Engelwurz und S wie Schlingnatter –, Koordinatorin des „Hotspot 22 – Lebensadern auf Sand“ im bundesweiten Projekt „Hotspots der biologischen Vielfalt“ und Mitorganisatorin des Workshops, unterstreicht, wie wichtig es ist, die Menschen für die Diversität zunächst überhaupt erst einmal zu sensibilisieren und zu begeistern: „Als Multiplikatoren sollt ihr nach diesem Workshop den Gedanken der Vielfalt in die Weite tragen.“

30 Hotspots der biologischen Vielfalt bundesweit

Nun gut, schöpfe ich neue Hoffnung, was meine Qualifikation betrifft: Wenn es ums Staunen und um die Begeisterung geht, ums Entdecken und Erforschen, dann schlüpfe auch ich entschlossen in meine Outdoor-Stiefel und begebe mich mitten hinein in das überwältigende Allerlei. Schließlich breitet sich unmittelbar vor unseren Füßen der Hotspot 22 aus – eine von insgesamt 30 wegen ihres besonders hohen Artenreichtums vom Bundesamt für Naturschutz ausgezeichnete Region.

„Stellt gemeinsam Saatkugeln (,Seetbombs‘) aus Ton, gesiebter Komposterde, Wasser, Kräuter- und Gräsersamen her“ lautet einer der Arbeitsaufträge der Natur- und Wildnispädagogin.

Von der eigenen Faszination motiviert

Gar keine Frage, die Faszination für die Natur, die es später dann auch Anderen zu vermitteln gilt, hat die dreizehn Kursteilnehmer längst gepackt – die meisten von uns wohl bereits irgendwann in ihrer Kindheit oder Jugend: etwa den leidenschaftlichen Hobby-Ornithologen Helmut aus Mettingen (H wie Heckenbraunelle), den Fledermaus-Fan Christoph aus Münster (C wie Centaurea cyanus, wissenschaftliche Bezeichnung für Kornblume) oder die Westerkappelnerin Mareen Wittrodt (M wie Margerite und W wie Waldameise), die an der Grundschule in Handarpe eine Umwelt-AG leitet.

Die Unterschiede erkennen

Nachdem die rechtlichen Grundlagen (Welche Flächen darf ich überhaupt betreten?) und die Sicherheitsfragen (genereller Zechencheck nach jeder Wanderung, kein Verzehr von ungewaschenen Früchten wegen Gefahr durch Fuchsbandwurm) geklärt sind, wird es auch schon praktisch: Zum Einstieg hat Björg Dewert ein Pflanzen-Memory für uns vorbereitet. Für wenige Sekunden gewährt sie uns den Blick auf ein halbes Dutzend Kräuter, die sich unter einer Wolldecke verbergen. Der erste Arbeitsauftrag lautet: Pflückt jeweils ein Exemplar der identischen Pflanzen! Gebannt betrachte ich die farbenprächtige Collage: Diversität kann eine echte Herausforderung sein! Denn wer sich die Vielfalt einprägen will, muss diese zunächst differenziert wahrnehmen und einen Blick fürs Detail entwickeln.

Welche Form hat die Blüte?

Sich die unterschiedlichen Blütenfarben zu merken, liegt auf der Hand. Aber was, wenn einem gleich drei Exponate in Rosa entgegen leuchten? Die Wildnispädagogin gibt Tipps: Die Form und Beschaffenheit der Blüten, des Stängels und der Blätter, der Geruch sowie die Wuchshöhe der Pflanzen sind weitere Merkmale, die einem das Vertrautwerden mit den Wiesenbewohnern erleichtern.

U wie Uferschwalbe und H wie Heidenelke

Und so suchen und sortieren, schnuppern und tasten, fabulieren und schwadronieren, schmunzeln und staunen wir uns einen Tag lang durch die Natur. Etliche Arbeitsaufträge später haben sich die fröhlich bunten Tupfen, die die wilde Wiese auf der Fläche des Vereins „Natur unterwegs“ in Seeste übersäen, selbst für mich in gute Bekannte verwandelt, von den ich einige sogar schon beim Namen nennen kann. Entsprechend zuversichtlich präsentiere ich am Ende des Workshops meine erweiterte Identität zuhause der Familie: Gestatten, Ulrike Havermeyer, Diversitäts-Botschafterin – mit U wie Uferschwalbe und H wie Heidenelke.

Heidenelke.
Uferschwalbe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 12.07.2017)