Ihre kreative Ader hat Agnes Wilke wohl bereits in die Wiege gelegt bekommen. Zeichnen, Handarbeiten, Basteln, Neues ausprobieren – und immer wieder: die Malerei. Bis heute hält die Suche nach künstlerischen Herausforderungen die 79-Jährige auf Trab.
Ein bis ins winzigste Detail durchdachter, liebevoll ausgearbeiteter Familienstammbaum schmückt den Eingangsbereich. Selbstgestaltet, was denn sonst? Im Flur fängt eine mit üppig-rustikaler Bauernmalerei verzierte, ausgediente alte Milchkanne den Blick des Betrachters ein. Getöpferte Unikate auf den Regalen, in Aquarellfarben auf Papier gebannte, sauber hinter Glas gerahmte Szenerien und Arrangements. Auf einem kleinen Tischchen in der Stube – direkt am Fenster – wartet ein Tablett voller Farbtöpfchen und Pinsel auf den nächsten Einsatz: Die Wohnung von Agnes Wilke ist Atelier, Werkstatt und Galerie zugleich.
Bunte Blumen auf die Schultafel gemalt
„Als Grundschülerin durfte ich während der Pausen immer Blumen auf die schwarze Wandtafel im Klassenraum malen“, berichtet die Neuenkirchenerin von den Anfängen ihrer Leidenschaft, „der Lehrer hat es mir sogar erlaubt, dazu die farbige, damals ja sehr kostbare Kreide zu benutzen.“ Sie schmunzelt bei der Erinnerung still vor sich hin. Schon zu dieser Zeit haben die zarten Blüten der kleinen Agnes Jung und Alt fasziniert. Das kreative Talent war offensichtlich. „Am liebsten wäre ich Kirchenmalerin geworden“, sagt die gebürtige Steinfelderin. Besonders die Deckengemälde in der Pfarrkirche St. Katharina in Voltlage und die Neugestaltung der St. Laurentius-Kirche in Neuenkirchen hatten es ihr schon als Mädchen angetan.
„Heute wäre das natürlich anders“
Agnes Wilke betrachtet nachdenklich die mit zarten Rosen verzierte Porzellantasse, die sie bedächtig in ihren Händen kreisen lässt. Selbstgestaltet, na klar. „Aber früher“, hadert die Landwirtin im Ruhestand dennoch nicht mit der Entwicklung, die ihre Biografie stattdessen genommen hat, „da gingen die Mädchen nun einmal nach der Schule in den Haushalt, und die Jungen durften weiterlernen.“ Energisch – und schwingt da nicht auch ein Hauch von amüsierter, später Genugtuung mit? – fügt sie hinzu: „Heute wäre das natürlich anders.“
Fähigkeiten auf eigene Faust vertieft
Aber es ist nun einmal wie es ist. Oder in diesem Fall: Wie es war. Zum Glück brachten die einengenden Geschlechterklischees die begabte junge Frau nicht davon ab, ihre künstlerische Ader auch weiterhin nicht nur in Fluss zu halten, sondern sogar immer mehr zum Sprudeln zu bringen. Statt biblische Szenen an getünchten Kirchenwänden zu restaurieren, pflegte sie neben der Hausarbeit und der Kindererziehung ihre Talente intensiv als Freizeitbeschäftigung. „Ich bin jemand, der immer etwas zu tun haben will“, erklärt sie, „und ob es nun das Kunsthandwerken oder das Malen ist – es beruhigt.“ Zusätzlich zu ihrem Engagement im örtlichen Landfrauenverein baute die Neuenkirchenerin ihre Kenntnisse und Fertigkeiten auf eigene Faust aus, nahm an Fortbildungen teil – und erteilte später auch selber Kurse, zum Beispiel in Seidenmalerei.
Portfolio der Leidenschaft ist gut ausgestattet
Vieles von dem, was Agnes Wilke mit scharfen Augen, ruhigen Händen und kundigem Blick erschafft, bereichert nicht nur den Alltag der Seniorin selbst, sondern auch den ihrer Familie, Freunde und Bekannten. Regelmäßig dekoriert sie die Tafel für das Osterfrühstück der Landfrauen mit voller Akribie und Hingabe bemalten Gänseeiern. Auch eine Ausstellung ihrer Werke beim Kreislandfrauentag sorgte jüngst für Begeisterung. „So um die 180 Porzellantassen, -untertassen und -teller dürften es inzwischen wohl sein, die ich überwiegend mit Rosen bemalt habe“, überlegt sie. Im Wohnzimmerschrank ist mehr als nur ein komplettes – keine Frage: selbstverständlich selbstgestaltetes – Kaffeeservice beheimatet. Außer dem vertrauten Meer aus filigranen Blüten, das sich immer wieder über die Servierschalen, Tortenplatten und Vasen aus feinem Porzellan ergießt, entdeckt man bei Agnes Wilke auch streng geometrische Muster im Portfolio ihrer Leidenschaft. „Manches fertige ich auf Wunsch an, etliches davon verschenke ich.“
Begeisterung für die Vielfalt der Farben
Als nächste Herausforderung hat sich die agile Künstlerin vorgenommen, die architektonischen Besonderheiten ihrer Heimat auf Porzellan und Papier zu bannen. Aber dieses Projekt habe noch Zeit bis zum Herbst, geht Agnes Wilke die Sache gelassen an. Denn jetzt, im Sommer, lockt sie unwiderstehlich eine weiteren Passion weg vom Maltisch hinaus in den hellen Sonnenschein: der prachtvoll angelegte Ziergarten will umsorgt sein. „Egal ob in der Malerei oder im Blumenbeet – es sind immer wieder diese Farben, die mich inspirieren“, sagt sie und lässt dabei zufrieden den Blick über die weithin leuchtenden Rabatten schweifen. Nicht von der Künstlerhand zu weisen, dass sich ein Abbild der einen oder anderen Blüte demnächst auf einem edlen Porzellanbecher wiederfinden lässt.
(Erschienen in: Bersenbrücker Kreisblatt, 01.07.2017)