Die Westerbecker Freiheit

Leben und leben lassen: Auch wenn er beinahe die ganze Welt bereist hat, mag Landschaftswart Rainer Bussas doch am liebsten den eigenen Garten in Westerbeck. Zwischen Löwenzahn und Hühnerdreck genießt er vor allem eines: seine Freiheit. Foto: Ulrike Havermeyer

Wer ihn auf seiner verwunschenen Parzelle mitten in der Bauerschaft Westerbeck besucht, merkt schnell: Dieser Mann mag es bunt und ursprünglich. Umgeben von kleinteiliger Vielfalt lässt sich Rainer Bussas mit einem wohligen Seufzer in einen wettergeblichenen Lehnstuhl fallen. Zwischen allerlei Getier von der Heidschnucke bis zum Pfauenhahn sitzt der selbstständige Kaufmann im Ruhestand in seinem Garten, schließt die Augen und blinzelt durch die dichten Blätter einer alten Eiche in die Spätsommersonne.

Kleinteilige Vielfalt scheint das Lebensprinzip zu sein, nach dem der langjährige Ostercappelner, den es 1978 nach Westerbeck zog, auch sein Zuhause eingerichtet hat: Hier ein selbstgepflanztes Gebüsch, dort ein liebevoll angelegter Gänseteich, dahinter ein Dickicht aus Schilfgras – lauter kleine Oasen, in denen es surrt und duftet und raschelt. Leben und leben lassen.

Und auch wenn der 59-Jährige betont, dass es in Westerkappeln viele schöne Ecken gibt – „besonders gerne mag ich den Schachselwald in Seeste und das Moor hinterm Kanal“ – so ist sein allerliebster Lieblingsplatz doch hier unter seinen Füßen – auf der heimischen Scholle zwischen Löwenzahn und Hühnerdreck.

Ein durchaus bemerkenswertes Kompliment an seine Heimat, wenn man bedenkt, dass er im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit die Erde bereits gründlich umrundet hat: Bussas hat neben Indien, Indonesien, Thailand, Bali und den Philippinen auch Kanada, die USA, Mittel- und Südamerika bis Feuerland, Afghanistan und Afrika bereist. „Und trotzdem bin ich hierher nach Westerbeck zurückgekommen“, staunt er – ein wenig verdutzt über die eigene Bodenständigkeit. „Aber wo sonst hätte ich mein Leben so frei und selbstbestimmt gestalten können ?“

Gleich hinter seinem privaten Idyll beginnt das Naturschutzgebiet „Düsterdieker Niederung“ – mit einer Fläche von rund 2700 Hektar eines der größten zusammenhängenden Feuchtwiesengebiete in Nordrhein-Westfalen. Eine Perle des Umweltschutzes und damit die grüne Zierde der Gemeinde Westerkappeln ? Rainer Bussas schüttelt den Kopf: „Nein“, blickt er skeptisch: „Das Projekt Düsterdieker Niederung ist ein Kompromiss zwischen Naturschutz und Landwirtschaft – und weder den Landwirten noch der Natur ist mit so einer halbherzigen Lösung geholfen.“

Bussas, der im vergangenen Jahr das Ehrenamt des Landschaftswarts von Friedhelm Scheel übernommen hat, kritisiert, wie dort im Namen des Naturschutzes die vorhandene kleinteilige Vielfalt deutlich größeren Räumen gewichen ist: „Als erstes wurden viele der alten Wiesenpfähle entfernt“, erinnert er sich. Weil die Landwirte früher gar nicht so dicht mit ihren Maschinen an die Zäune heranfahren konnten, hatte sich um jeden Pfahl ein kleines Biotop gebildet: Viele Hunderte wertvolle Ruhezonen, in deren blütenreiche Fülle sich Insekten, Amphibien und Vögel zurückziehen konnten. „Wenn heute geerntet wird, ist in spätestens zwei Tagen die komplette Fläche kahl geschoren“, sagt Bussas.

Durch die Verlegung des Westerbecker Grabens und die Verbreiterung des Hauptgrabens fallen zudem einstmals ganzjährig feuchte Wiesenbereiche häufiger trocken. „Da frage ich mich doch, ob die Verantwortlichen das wirklich zu Ende gedacht haben.“

Was ist dem überzeugten Freidenker am Leben in der Gemeinde Westerkappeln besonders lieb ? „Unsere Nachbarschaft“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Die würde ich auch am meisten vermissen, wenn ich mal von hier wegziehen müsste.“

Und die breite Palette der Einkaufsmöglichkeiten im Ort ? „Ja“, sagt er: „Bequem ist das natürlich.“ Aber schon liegt seine Stirn wieder in Falten – die Parallele zur aufgeräumten Landschaft drängt sich förmlich auf: „Auf der einen Seite die großen Märkte mit weiten Parkflächen, in denen wir schnell und effizient einkaufen können. Auf der anderen Seite die kleinen, leer stehenden Geschäfte im Ortskern.“ Erinnert irgendwie an das Problem der schwindenden kleinteiligen Vielfalt in der Düsterdieker Niederung. Einer seiner Wünsche für die Zukunft der Gemeinde lautet daher: „Ich hoffe, dass jemand die Qualität dieser Nischen im Ortskern erkennt und nutzt.“

Alles in allem scheint der Mann dort im Lehnstuhl ein durchaus zufriedenes Exemplar des ausgewachsenen Westerkappelners zu sein. Und die Dinge, die er – etwa durch ein klärendes Gespräch oder durch ein gerüttelt Maß an diplomatischem Geschick – nicht ändern kann, die nimmt der Landschaftswart mit Humor: „Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine zum anderen: Du siehst aber schlecht aus, bist du krank ? Antwortet der Gefragte: Ja, ich hab Mensch. Tröstet ihn der Erste: Keine Sorge – hatte ich auch schon mal. Aber das geht wieder vorüber.“

(Erschienen in: Westfälische Nachrichten, 10.10.2012)