Abschalten – und gleichzeitig Einschalten? Wenn es um unsere Gehirnleistung geht, davon ist Gedächtnistrainerin Marita Wielage-Bücker überzeugt, funktioniert das bestens. Wo Training zur Entspannung und Entspannung zum Training wird, bin ich gerne dabei.
Um das Gehirn fit zu halten, lädt die Mettinger Lerntherapeutin regelmäßig zum „Brainwalking“ ins Köllbachtal ein. Ich habe in der Zeitung davon gelesen und bin neugierig geworden: Was verbirgt sich wohl hinter diesem Begriff: mit dem Gehirn spazieren gehen? Hört sich vertraut an und befremdlich zugleich.
Was ist eine statische Tätigkeit?
Ausgedehnte Wanderungen durch die Natur unternehme ich oft und gerne. Und klar, fühle ich mich anschließend in der Regel aufgeräumter und erholter als vorher. Aber klüger? Ich habe eher das Gefühl, dass sich mein Hirnkasterl, statt sich mit der eigenen Weiterbildung beschäftigen zu wollen, lieber von mir im unverbindlichen Stand-by-Modus durch die Gegend tragen lässt, um sich dabei von den aufreibenden Eindrücken des Tages zu erholen. Aufwendiges Pauken empfinde ich dagegen als „statische Tätigkeit“, die ich – oft auf beide Ellenbogen gestützt – an meinem Schreibtisch erledige. Ja, ich merke es auch gerade: eine „statische Tätigkeit“ klingt ziemlich absurd…
Mentale All-Inklusiv-Wanderung
„Denken und Bewegen in Einklang zu bringen, das ist gar nicht so einfach“, bestätigt Marita Wielage-Bücker das scheinbare Paradoxon und verteilt – natürlich zeitgleich – bunte Igelbälle an uns. Außer mir haben sich noch rund ein Dutzend Frauen angemeldet, die einem mentalen All-Inklusiv-Gang ebenfalls nicht abgeneigt sind. Während wir uns hügelaufwärts unter dichten Laubkronen auf den Weg machen, erklärt die 53-jährige Mettingerin die erste Übung: Beim Kommando „1“ sollen wir die kleine Gummikugel zwischen beiden Händen reiben. Das alles, versteht sich, natürlich in einem flotten Wanderschritt. Bei „2“ gilt es, den Ball in Hüfthöhe mit beiden Händen um den Körper herumzuführen. Bei „3“ wird das Trainingsobjekt mit einem Partner getauscht. Ertönt die „4“, sollen wir den Ball vor uns hochwerfen und wieder einfangen. Bei „5“ den Ball zwischen den Handflächen knödeln wie bei „1“, allerdings im Rückwärtsgehen. Marita Wielage-Bücker nickt uns aufmunternd zu: „1!“
Zwölf Präsidenten marschieren mit
Sich fünf verschiedene Aufgaben mal eben so auf die Schnelle merken? Gar nicht so einfach. Zum Glück nicht nur für mich… „4!“ Vor, neben und hinter mir wird gekichert. Die Stimmung ist gelöst. Wie war das noch? Jemand drückt mir seinen Ball in die Hand. „Ach nee“, murmelt meine Mitstreiterin und lacht auf, „das war ja bei 3…“ Die erste Herausforderung hat es also schon mal in sich. Während unsere Füße sich bemühen, uns ohne zu stolpern über steinigen Grund und sich aufwölbende Baumwurzeln zu tragen, hat unser Kopf buchstäblich alle Hände voll zu tun: Die Kommandos zuordnen und umsetzen, den Ball geschickt greifen und weiterreichen – hier sind Konzentration, Koordination und Feinmotorik gefragt. „Beim Brainwalking lässt sich das Gehirn auf sehr nette Art und Weise in Schwung bringen“, sagt die Lerntherapeutin – und hält bereits die nächste Übung für uns bereit: Die Namen der bisherigen zwölf amerikanischen Präsidenten über eine lustige Geschichte mit unserem Körper zu verbinden.
Stress wirkt lediglich kontraproduktiv
Während neben uns der Köllbach sprudelt und über uns die Rotkehlchen ihren Gesang durch das Laub der Bäume schmettern, genießen unsere grauen Zellen ein belebendes Bad im Jungbrunnen, den Marita Wielage-Bücker angenehm mit Rätseln, Denksportaufgaben oder Eselsbrücken und kurzweiligen Handlungsmustern auffüllt. Insgesamt 14 Übungen begleiten uns auf unserem inspirierenden Waldspaziergang: Wir werfen und fangen, finden und erfinden, reden, formulieren – und wir lachen. Das liefert zusätzliche Motivation, denn: „Sobald Stress aufkommt, blockiert das Gehirn ohnehin.“
Wichtig: ausreichend Flüssigkeit zu sich nehmen
Ein solcher Stress, erklärt Marita Wielage-Bücker, müsse nicht unbedingt als Zeit- oder Leistungsdruck daher kommen, sondern trete – sowohl zuhause wie auch im Büro oder in der Schule – oft als Flüssigkeitsmangel auf. „Trinken Sie am Tag zwischen eineinhalb und zweieinhalb Liter Flüssigkeit in Form von Wasser, Fruchtsäften oder Tee“, rät die Trainerin, „sonst kann ihr Gehirn nicht vernünftig arbeiten.“ Oft seien Kopfschmerzen die Folge von zu wenig Flüssigkeit.
Der Weg vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis
Am Ende des Parcours gießt die Mettingerin deshalb jeder von uns ein ordentliches Glas Wasser ein. Anschließend gibt es noch etwas zum Knabbern. Denn unser Gehirn bekommt beim Denken nicht nur Durst, sondern auch Appetit. „Bananen, Aprikosen und Walnüsse eigenen sich besonders gut, um das Gehirn schnell und effektiv mit Nährstoffen zu versorgen.“ Während wir zufrieden die gereichten Leckereien mümmeln, orakelt die Gedächtnistrainerin, ob die Präsidenten es bei uns denn wohl vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis schaffen würden. „Dazu müssen die Übung dann aber zuhause noch einige Male wiederholt werden.“ Mein Ehrgeiz ist geweckt – wie war das noch? Treffen sich zwei Knie. Sagt das eine zum anderen: Kenn-e-dy oder kenn i di nit?
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 31.05.2017)