Gäbe es eine Gewerkschaft der Winterbienen („GDW“) – ihre Mitglieder würden wohl aktuell sehr kampfbereit die Stachel wetzen und gegen eine kaum in Gesumm zu fassende Nichteinhaltung der vereinbarten Arbeitsbedingungen wettern.
„Fast der gesamte Herbst 2016 war von sommerlichen Temperaturen geprägt“, beschreibt Erwin Nubbemeyer, Vorsitzender des Imkervereins Westerkappeln, die Misere. Und genau das habe den vierflügeligen Nutztieren in Lotte und Westerkappeln schwer zu schaffen gemacht. „Etwa 30 Prozent der Völker in unserer Region haben den Winter nicht überlebt“, ergänzt Thomas Leeker, Vorsitzender des Kreisimkervereins Tecklenburger Land. Ich bin irritiert. Eine gesunde Bienenpopulation, Sonnenschein bis in den Herbst hinein – das klingt doch nach geradezu paradiesischen Arbeitsbedingungen…?
Tarifverträge zwischen GDW und Natur
„Gewaltiger Irrtum!“, rügt der gelb-schwarz gestreifte GDW-Sprecher meine Unkenntnis. Allerdings nur in meiner Fantasie. Denn würden er und seine Organisation tatsächlich existieren – sämtliche Mitglieder hätten längst die Flügel gestrichen. Winterbienen, erklärt mir Nubbemeyer, leben nur etwa von September bis April. In den dazwischen liegenden Monaten werden sie durch mehrere Generationen von Sommerbienen ersetzt, die für die komplette Nektarernte verantwortlich sind – und deren „Tarifverträge“ mit der Natur über kräftezehrende 24 Stunden am Tag in ihren Genen festgeschrieben sind. „Weil die Sommerbienen fast rund um die Uhr mit dem Eintragen des Nektars beschäftigt sind“, erklärt Nubbemeyer, „haben sie auch nur eine Lebenserwartung von maximal sechs Wochen.“
Wenn der Herbst zum Sommer wird
Die Winterbienen können dagegen etwa ein halbes Jahr alt werden. Allerdings haben sie laut Arbeitsplatzbeschreibung nichts mit der Honigernte zu tun, sondern lediglich die Aufgabe, das Volk erfolgreich durch den Winter zu bringen. Doch im vergangenen Herbst war alles anders: „Weil der Senf wegen der milden Temperaturen bis spät im Jahr in voller Blüte stand, sind aus den Winterbienen regelrechte Sommerbienen geworden“, erläutert Nubbemeyer das Phänomen. Und weil die vermeintlichen Sommerbienen die Waben weiter mit Honig gefüllt haben, ist die sogenannte Brutlegefläche für die Königin kleiner als üblich geworden. Zudem haben die Tiere versäumt, genug Pollen als Nahrung für die Jungbienen einzutragen. So sind viele Völker geschwächt in die neue Saison gestartet.
Frost bis in den April
Und die begann in Lotte und Westerkappeln zu allem Übel auch noch ziemlich frostig. „Für den richtigen Flugbetrieb brauchen die Bienen Temperaturen um die 12 Grad“, erklärt Thomas Leeker. Bei Minusgraden sperren die Bäume ihren Wasserhaushalt, erklärt er, „und geben nur ihre Pollen, nicht aber den Nektar frei.“ Wie gut also, dass der Frühling inzwischen Fuß gefasst hat und nach Krokussen, Narzissen und Kirschblüten nun die Apfelbäume, die Rapsfelder und der Löwenzahn im milden Sonnenschein um die Wette leuchten.
Kaum noch Blühstreifen und Wildwiesen
Zwar sei der Tisch für die Honigbienen in unserer Region noch relativ reich gedeckt, befinden Leeker und Nubbemeyer. Jedoch gebe es kaum noch Blühstreifen und Wildwiesen, deren bunte Blütenvielfalt nicht nur Honig- und Wildbienen, sondern auch Hummeln, Schmetterlinge und andere Insekten anlocke. Statt Klatschmohn, Kornblume und Margerite breitet sich derzeit allerdings eine andere und ziemlich unangenehme Pflanze aus: Das Jakobskreuzkraut, dessen giftige Inhaltsstoffe nicht nur Pferde und Rinder töten können, sondern die sich sogar in manchen Honigen nachweisen lassen – und die auch für den Menschen gefährlich sind. Aktuell befasst sich das Bundesinstitut für Risikobewertung mit der Pflanze und ihren Auswirkungen.
Die Crux mit dem Jakobskreuzkraut
„Das Jakobskreuzkraut stellt für uns Imker definitiv eine Gefahr dar, und größere Bestände der Pflanze sollten auf jeden Fall beim Ausbringen der Völker gemieden werden – wir empfehlen einen Abstand von mindestens fünf Kilometern“, betont Leeker. Weil jeder Imker für die Unbedenklichkeit des von ihm vermarkteten Lebensmittels Honig verantwortlich ist, rät der Kreisvorsitzende allen Kollegen, Proben ihrer jeweiligen Ernten bei einer der regelmäßig stattfindenden Honigprämierungen auf Schad- und Giftstoffe untersuchen zu lassen. So können auch die Kunden sicher sein, dass ihr bewährter Frühstücksaufstrich von den örtlichen Imkern nicht nur süß und aromatisch, sondern auch unbedenklich und gesund ist.
Vielfalt ist Lebensqualität
Darüber hinaus gilt: Je größer die florale Artenvielfalt, desto mehr Auswahl haben die Bienen, und desto weniger steuern sie das Jakobskreuzkraut an. Dazu können sowohl die Landwirte durch das Anlegen von Ackerrandstreifen wie auch Privatleute durch die bienenfreundliche Gestaltung ihrer Gärten oder Balkone beitragen. Wer mehr über die Welt der Bienen erfahren möchte, hat dazu am 23. Juni die Gelegenheit. Dann lädt das Osnabrücker Bienenbündnis zu einer „Wildbienenexkursion zu den Lebensadern auf Sand“ zum ehemaligen Truppenübungsplatz in Halen/Achmer ein. Treffpunkt ist um 16 Uhr am Modellflugplatz an der Bramscher Straße in Westerkappeln.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 18.05.2017)