March for Science am 14. April 2018 in Münster

Wehret den Anfängen: Katie Grosser (links), Mitglied bei democratsabroad.org, sagt: „Wir setzen uns für die Wissenschaften ein – schließlich sehen wir, was gerade in den USA passiert.“ Foto: Ulrike Havermeyer

Wer als Lotteraner oder Westerkappelner beim weltweiten „March for Science“, dem Marsch für die Wissenschaften, Flagge zeigen will, hatte bereits im April 2017 in Münster dazu Gelegenheit: Um die 600 Demonstranten sind dort auf die Straße gegangen – eine davon war ich. Auch in diesem Jahr findet in Münster wieder ein March for Science statt: Am Samstag, 14. April 2018, treffen sich alle, die für die Unabhängigkeit der Forschung demonstrieren wollen, um 10.45 Uhr vor dem Schloss.

Rückblick auf den March for Science 2017: Zwischen Biowurst-, Vollkornbackwaren- und Ziegenkäseständen schiebe ich mich durch das Gedränge des Münsteraner Wochenmarktes. Hier vor dem Domplatz soll er als einer von insgesamt 22 in Deutschland starten, der Marsch für die Wissenschaften, zu dem kritische Geister weltweit aufgerufen haben. Ihr Appell „gegen den Populismus mit seinen Halbwahrheiten und Lügen – und für faktenbasierte Diskussionen als Grundlage einer freien, demokratischen Gesellschaft“ hat auch mich davon überzeugt, dass es mal wieder dringend notwendig ist, für die eigenen Grundsätze auf die Straße zu gehen.

Nicht auf dem Sofa sitzen

„Wenn wissenschaftlich erwiesene Tatsachen geleugnet, relativiert oder ,alternativen Fakten‘ als gleichberechtigt gegenübergestellt werden“, heißt es im Aufruf des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Universität Münster weiter, der den Marsch in der westfälischen Friedensstadt organisiert hat, „gefährdet das die Demokratie insgesamt.“ Wer kann in Zeiten wie diesen noch im Sofa sitzen bleiben, wenn er eine solche Aufforderung liest…

Gäste auch aus Washington

In der Menschenmenge, die sich vor dem Domplatz versammelt, treffe ich Elisabeth Krüger, die gemeinsam mit Tochter Jule, Psychologie-Studentin in Enschede, und Lebensgefährte Thomas Deutscher aus Recklinghausen angereist ist, um „ein Zeichen gegen Trump und seine Parolen zu setzen.“ Die drei sind sich einig: „Es ist zwingend an der Zeit, um zu demonstrieren.“ Ihre Aussage wird von vier älteren Herrschaften mit entschiedenem Nicken quittiert: Ken De Jong, Professor für Computer Science, und seine Frau Ruth erklären mir, dass sie eigentlich in Washington DC zuhause sind. Zusammen mit ihren Bekannten Hans-Paul Schwefel, Professor für Informatik an der TU Dortmund, und seiner Frau Antje, wollen auch sie ein Zeichen setzen zugunsten einer unabhängigen Wissenschaft.

Um die 600 Demonstranten

Der Platz rund um die kleine Bühne, die das Team um AStA-Vorsitzende Martha Schuldzinski und ihren Stellvertreter Julian Engelmann eifrig aufbaut, füllt sich. Außer Dozenten, Studenten und Mitarbeiter der Uni sind auch Nichtwissenschaftler, Schüler, junge Familien und interessierte Senioren gekommen. Um die 600 Demonstranten dürften es wohl sein, schätzt der Polizeibeamte, der außer für den anschließenden Marsch hier und da den Verkehr anzuhalten, nichts weiter zu tun bekommen wird.

„Science first!“

Die Stimmung unter den Teilnehmern ist gelöst, friedlich – aber entschlossen. „Wissenschaft ist keine Meinung!“, „Science first!“ oder „We don’t need a Ministery of Truth!“ lassen die Slogan auf den Plakaten und Shirts keinen Zweifel daran, um was es den bekennenden Freidenkern – nicht nur heute – geht. „Jeder hat ein Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“, erklärt Johannes Wessels, Rektor der Universität Münster, vom nun errichteten Podium hinunter. Von der Gefahr, die davon ausgehe, wenn Populisten – nicht nur in den Vereinigten Staaten – versuchten, aus den Wissenschaften politisches Kapital zu schlagen, sei nicht nur die Wissenschaft selbst, „sondern unsere Gesellschaft als Ganzes betroffen.“ Zustimmender Applaus.

Am besten: selber denken

Bevor wir uns auf den Weg in Richtung Schloss begeben, diskutieren Christoph Saß und Felicitas Strauch vom Debattierclub der Uni Münster noch öffentlich mit Ursula Nelles (ehemalige Rektorin der Uni Münster) und Janbernd Oebbecke (ehemaliger Senatsvorsitzender) über Wahrheit und Unwahrheit, Gehorsam und Widerspruch und den Wert der Bildung. Ihr Fazit: In Zeiten von Fake News und alternativen Fakten, in denen hemmungslos gelogen und wissenschaftliche Erkenntnisse – wie beispielsweise über den Klimawandel – geleugnet würden, müsse jeder mündige Bürger dafür einstehen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage unserer Entscheidungen nicht verhandelbar seien. Außer dem kritischen Hinterfragen von Informationen und allem, was sich als solche ausgebe, seien das eigene Denken und der sachliche Austausch untereinander wohl immer noch das beste Mittel, um Populisten nicht auf den Leim zu gehen.

Und der Marsch geht weiter…

Während wir dann – von der Gewissheit gestärkt, weder mit unseren Ängsten noch mit unseren Überzeugungen alleine dazustehen – durch die Innenstadt marschieren, verfolgen einige Passanten mit leicht verstörten, die meisten aber mit beifälligen Blicken das Geschehen, manche schließen sich uns spontan an. Insgesamt haben an diesem Tag laut Presseberichten Zehntausende Menschen in mehr als 600 Städten weltweit für den Wert und die Freiheit der Wissenschaft protestiert. Was die Initiatoren des March for Science in Deutschland weiterhin planen, um ihre Mitmenschen für verlässliche Kriterien zur Einordnung von Erkenntnissen zu sensibilisieren, ist nachzulesen unter marchforscience.de.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 04.2017)

Kommentar von NOZ-Redakteur Stefan Lüddemann zu der Aussage der Philosophen Philipp Hübl und Nikil Mukerji, dass Fake News sich künftig noch stärker verbreiten als bislang (Neue OZ, 19.03.2018):

Kommentar Stefan Lüddemann, Neue Osnabrücker Zeitung vom 19.03.2018.