Das rustikale Ergebnis der morgendlichen Back-Bemühungen. Sieht nicht nur lecker aus, schmeckt auch vorzüglich! Fotos (4): Ulrike Havermeyer
Es ist 5.30 Uhr, als ich in die Küche wanke, um den Hefeteig für mein Brot vorzubereiten. Ludger Nobbe steht jetzt bereits seit fünfeinhalb Stunden am Steinofen. Die ersten Laibe hat er längst abgebacken. Meine Portion ist für 7.30 Uhr eingeplant.
Einmal im Monat schlüpft Ludger Nobbe vom Heimatverein Hagen in die Rolle des traditionellen Steinofenbäckers – und, das ist nicht zu übersehen: Er tut das sehr gerne. Vielleicht, weil er den Ofen vor knapp dreißig Jahren selbst konstruiert hat. Weil ihn – als mittlerweile in Rente gegangener Maschinenbauingenieur – dessen ausgefeilte Technik noch immer fasziniert. Und nicht zuletzt wohl auch ob der köstlichen Ergebnisse, die er alle vier Wochen aus der glühenden Hitze hervorzaubert. Die Liste seiner Stammkunden ist lang – nicht selten wandern um die hundert vorbestellte Brote über den Tresen des Heimatvereins: Rosinenstuten, Körner- und Kümmelbrot. „Weil der Teig das Aroma des Holzes aufnimmt, ist der Geschmack von Steinofenbrot unvergleichlich“, schwärmt der 66-jährige Teilzeit-Frühaufsteher. Hin und wieder komme es auch vor, dass sich jemand einen Platz im Steinofen für seinen eigenen Brotteig reserviere, erzählt Nobbe: „Auch das ist kein Problem.“ Eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen will.
Wie war das mit dem Hefeteig?
Während also Ludger Nobbe an diesem Morgen bereits zum wiederholten Mal seinen Steinofen mit selbstgespaltenen Buchenholzscheiten bestückt und behutsam auf die richtige Temperatur – etwa 215 Grad Celsius – nachheizt, ringe ich zuhause mit der Zubereitung meines Rohmaterials. Wie war das noch mit dem Hefeteig? Viel Zeit zum Recherchieren bleibt mir nicht, kurzerhand brösel ich einen Würfel Hefe in etwas lauwarme Milch. Um auf Nummer sicher zu gehen, füge ich meiner selbstkreierten Roggen-Dinkelvollkornmehl-Mischung – die ich ungeachtet meiner weißbrotliebenden Familie noch mit reichlich Sesam und Quinoa angereichert habe – etwas Sauerteig hinzu. Alles Durchkneten – und ab damit ins warme Wasserbad. Eine halbe Stunde später, die Masse hat sich inzwischen auf die doppelte Größe ausgedehnt, ist neuerlich durchgeknetet und zu einem Laib geformt, geht es in Richtung Hagen. Mein zweites Frühstück in spe schlummert auf dem Beifahrersitz in einer zugedeckelten Plastikschüssel, die ich auf eine Wärmflasche gebettet habe.
„Das ist jetzt der dreckige Teil“
Nein, das Alte Pfarrhaus in Hagen steht nicht in Flammen – auch wenn über den Hof dicke Rauchschwaden ziehen. „Bleiben sie besser noch einen Moment draußen“, ruft mir eine Stimme aus dem Off entgegen, deren Ursprung ich hinter einer grauen Wand aus Qualm im kleinen Backhäuschen verorte. Kurz darauf durchbricht Ludger Nobbe die wabernden Schwaden und bugsiert schwungvoll eine Schubkarre voller Glut und Asche an mir vorbei. „Das ist jetzt der dreckige Teil des Backens“, schmunzelt er. Allerdings verrät sein Lächeln, dass auch dieser Part ihm Freude bereitet. Gerade hat der gebürtige Hagener seinen Ofen – zum dritten Mal an diesem Morgen – mit Schaufel, Eisenharke und Besen von den rußigen Spuren des (Nach-)Heizens gesäubert. „Nun noch mit der Bäckerfahne hinterher“, erklärt er, schnappt sich einen feuchten Lappen, der mit einer Kette an einem Holzstiel befestigt ist, und lässt das triefnasse Tuch durch den Ofen wirbeln. „Auf diese Weise werden die restlichen Schwebteilchen herausgefiltert.“
„Learning by Doing“
Schnell die beiden hübsch verzierten Türklappen schließen, damit keine Hitze verlorengeht. „Und nun muss er sich beruhigen, der Ofen“, weiß der Hobbybäcker, wie er seinen treuen Kollegen aus Eisen, Beton und Schammott bei Laune hält. Auch Ludger Nobbe kommt nach der Schufterei inmitten der Gluthitze ein kleines Päuschen nicht ungelegen. Seit der Steinofen des Heimatvereins 1989 fertiggestellt worden sei, sinniert er, backe er darin nun schon Brot. Nobbe schüttelt den Kopf und lacht, als er an die Anfänge denkt. „Jetzt haben wir einen tollen Ofen, haben wir uns damals gefreut – aber keiner kann damit umgehen.“ Ein erfahrener Bäcker wurde konsultiert – „und nach dem Motto Learning by Doing und etlichen Misserfolgen hatten wir es schließlich raus.“ Die passende Temperatur, die richtige Backzeit – und weil die Abluft auf zwei Wegen über das Gewölbe mäandert, ist zudem für eine gleichmäßige Oberhitze gesorgt.
Rosinenstuten und Dinkelvollkorn
7.30 Uhr. Draußen streben die ersten Kunden über den Hof. Gut, dass Vereinskollege Heinrich Hülsmann die Hagener in einem der Nebengebäude mit der ofenfrischen Ware versorgt. So hat Ludger Nobbe, der Herr der Flammen, genug Muße, um die nächste Charge vorzubereiten. Mittendrin im Tross der zarten Rosinenteige diesmal: meine bedenklich massiv wirkende Kugel aus klebrigem Vollkorndinkel. Na, ob daraus wohl etwas wird? Mit einem mulmigen Gefühl gehe ich in Gedanken das arg improvisierte Rezept noch einmal durch. Und entsprechend gespannt bin ich, als Ludger Nobbe 45 Minuten später zum Holzschieber greift, um mir mit kritischem Bäckerblick mein Wunschbrot zu präsentieren. „Sieht doch gar nicht schlecht aus“, kommentiert er wohlwollend.
Nur noch ein Häufchen Krümel…
Recht hat er, stelle ich erleichtert fest. Aber was noch viel besser ist – es schmeckt auch fantastisch: Keine Stunde später ist von dem urig nach Rauch duftenden, von einer knusprigen Kruste umgebenen Brot nur noch ein Häufchen Krümel übrig – und meine Familie ist pappsatt.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 13.04.2017)