Zuerst ziemlich unsicher, dann immer mutiger – und schließlich mit feurigen Enthusiasmus zupfen wir drauflos: Gemeinsam mit einem halben Dutzend musikbegeisterter Mitstreiterinnen lerne ich bei Pro-Musica-Leiterin Veronika Hoffstädt die Veeh-Harfe zu spielen.
Sieben Frauen, zusammen 14 Zeigefinger. Sieben Basis-Veeh-Harfen, zusammen 126 Saiten. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie viel Herzklopfen ich habe“, flüstert Brigitte Herden und starrt auf das hölzerne Instrument, das da vor ihr auf dem Tisch wartet. Oh, doch: Dieses mulmige Gefühl, der uns noch gänzlich fremden Veeh-Harfe wenn überhaupt, dann allenfalls schräge Töne und verknarzte Melodien zu entlocken – das kann hier wohl jeder nachvollziehen. Sehr gut sogar. Denn genau wie Brigitte Herden sind die meisten Teilnehmerinnen, die nicht bloß aus Westerkappeln, sondern auch aus Lotte und Osnabrück gekommen sind, was das Lesen von gedruckten Noten angeht, musikalische Analphabeten. Vorkenntnisse? Fehlanzeige. Was uns eint ist die Tatsache, dass wir in unserer Biografie bisher noch nicht das passende Instrument gefunden haben, das uns sicher und entspannt in die Welt der klingenden Harmonien geführt hätte.
Ein Wanderweg ins Reich der Musik
Sieben Frauen, zusammen 14 Zeigefinger. Sieben Basis-Veeh-Harfen, zusammen 126 Saiten. „Auf diesem Instrument könnt ihr gar nicht falsch spielen“, beruhigt uns Veronika Hoffstädt und verteilt … tatsächlich: Notenblätter! Brigitte Herden zuckt leicht zusammen. Aber statt Violinenschlüssel und strengem Zeilenraster schlängelt sich lediglich eine zarte Linie über die Seite. Wie ein ausgewiesener Wanderweg mäandert die Markierung in munteren Bögen und abrupten Kurven von oben links nach unten rechts über das Papier. In regelmäßigen Abständen zieren sie mal große, mal kleinere schwarze Punkte. Musikpädagogin Veronika Hoffstädt erklärt uns, wie wir das speziell für die Veeh-Harfe gestaltete Notenblatt so zwischen dem Corpus des Instruments und seinen 18 Saiten positionieren, dass wir uns bei unserer Reise ins Land der Musik problemlos an ihm orientieren können. Das Entscheidende: Jeder schwarze Klecks muss genau unter der entsprechenden Saite zu liegen kommen.
Ein Instrument für Alt und Jung
Entwickelt wurde die Veeh-Harfe 1992 von dem bayerischen Landwirt Hermann Veeh. Um seinem mit der Trisomie 21 geborenen Sohn zu ermöglichen, auch ohne Kenntnisse des Notensystems das Spielen eines Instruments zu erlernen, konstruierte er das Zupfinstrument auf der Grundlage der Akkordzither. Gespielt wird die kleine Harfe, je nach Lust und Laune, mit einem oder beiden Zeigefingern. Sie hat nicht nur Veehs Sohn den Weg in die Musik geebnet, sondern wird mittlerweile seit Jahren ebenfalls im Bereich der Musikpädagogik und -therapie, der Senioren- und der Sozialarbeit eingesetzt.
Vorkenntnisse nicht erforderlich
Auch in der Westerkappelner Musikschule Pro Musica geht es jetzt los: Veronika Hoffstädt gibt den Einsatz – und wir zupfen uns an der Linie entlang durch den Kleinen Gipfelstürmer. „Das hört sich ja an wie Musik…!“, murmelt Brigitte Herden ganz fasziniert und schüttelt ungläubig den Kopf über die zarte, lupenrein klingende Melodie, die wir bereits bei unserem ersten Versuch zustande bringen. Veronika Hoffstädt lächelt und nickt: „Besonders für Personen, die keinerlei instrumentelle Erfahrungen haben, ist die Veeh-Harfe prädestiniert, um schnell gemeinsam ins Musizieren zu kommen.“ Sie reicht uns das nächste Notenblatt: Himmel und Erde müssen vergeh‘n. Ein alter Kanon, den wir – nun schon vertrauter mit dem Konzept des Instruments, auf Anhieb mehrstimmig spielen. „Ich war selten von etwas so begeistert“, gibt Musikneuling Beate Kreuzberger unumwunden zu und spricht ihren Kolleginnen aus der Seele.
„Wir können auftreten“
Sieben Frauen, zusammen 14 Zeigefinger. Sieben Basis-Veeh-Harfen, zusammen 126 Saiten. Gemeinsam ergibt das ein Klangvolumen, das einen ganzen Saal mühelos füllen würde, und eine Harmonie, die nicht nur die Instrumentalistinnen selbst, sondern auch die Zuhörer verblüfft. „Wir können auftreten“, fasst Svenja Nürnberger den unerwarteten Lernerfolg nach nur 60 Minuten Übungszeit in entschlossene Worte. Veronika Hoffstädt schmunzelt zufrieden. Ihr sei es am Wichtigsten, betont sie, dass die Teilnehmerinnen vor allem möglichst schnell möglichst viel Spaß am gemeinsamen Musizieren bekämen und dessen entspannende und bereichernde Wirkung für sich entdeckten.
Das erste Solo-Konzert
Und das anfänglich so mulmige Gefühl von Brigitte Herden? Es hat sich längst in reines Wohlbefinden verwandelt: Mit einem triumphierenden Blick verstaut sie die Veeh-Harfe im Transportkoffer. „Also, wenn ich gleich nach Hause komme …“, deutet die Westerkappelnerin voller Vorfreude an – und malt sich in Gedanken bereits das erste Solo-Konzert aus, mit dem sie ihren Mann Werner dann unverzüglich beglücken wird.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 26.10.2016)