„Ich bringe eine Klöppelrolle mit, dann können sie gleich loslegen“, sagt die Stimme am Telefon. Für jemanden, der Topflappen von der Beschaffenheit einer Betonplatte häkelt, bin ich ganz schön mutig: Ich habe mich zu einem Handarbeitskurs angemeldet.
Klöppeln. Dieses Wort hat mir immer schon gefallen. Vorwitzig und leichtfüßig hüpfen die Silben auf der Zunge herum. Klöp-peln. Allein – ich konnte den Begriff bisher nicht mit Inhalt, nicht mit Bedeutung füllen. Keiner meiner Verwandten oder Bekannten ist jemals diesem rätselhaften Hobby nachgegangen. Geschweige denn ich selbst. Der mentale Kulissenschieber in meinem Kopf hat das fragliche Phänomen also auf gut Glück irgendwo zwischen den Begriffen „weiß“ und „filigran“ im Fundus meiner Phantasie einsortiert. Und direkt darüber baumelt wie ein Damoklesschwert die Vokabel „KOMPLIZIERT“. Ja, in Großbuchstaben. Die logische Konsequenz aus diesem Dreiklang lautet dementsprechend: „Finger weg!“ Aber, habe ich mir ein Herz gefasst – man darf sich nicht von solchen verbalen Befindlichkeiten tyrannisieren lassen. Also, auf geht’s zum Klöppeln!
Herzlicher Enthusiasmus
Die Klöppelrolle im Arm, begrüßt Adelheid Dirksmeyer mich mit herzlichem Enthusiasmus im katholischen Pfarrheim in Mettingen. 1984 hat sie beim Besuch einer Ausstellung ihre ersten Kontakte zu jener kunstvollen Handarbeitstechnik geknüpft, die im 16. Jahrhundert in Italien entwickelt worden ist. „Und zufällig hat genau zu dieser Zeit die Fabi hier einen Kurs angeboten“, berichtet Adelheid Dirksmeyer und platziert diverse Utensilien – spindelförmige Holzgriffe, Stecknadeln, Unmengen von Fäden, einen merkwürdig gebogenen Draht, seltsam abstrakte Zeichnungen und, na klar: die Klöppelrolle, auf dem ausladenden Holztisch: „Da war ich natürlich sofort dabei“, lässt sie keinen Zweifel an ihrer Begeisterung aufkommen. Vier Jahre später hat sie begonnen, selbst zu unterrichten.
Feinmotorische Defizite
Ihre Schülerinnen sitzen vergnügt um den Tisch verteilt und nicken mir wissend zu. Die Gesichter entspannt, die Hände ununterbrochen in Bewegung. Ja, ja – wer einmal die Klöppel gekreuzt hat, versichern mir ihre aufmunternden Blicke, den lassen sie nicht mehr los. „Sie werden das auch bald können“, ahnt Adelheid Dirksmeyer nichts von meinen feinmotorischen Defiziten. Während sie das erste Klöppelpaar – einem winzigen Springseil mit hölzernen Griffen an den Enden nicht unähnlich – für mich vorbereitet, betrachte ich ein wenig eingeschüchtert die Kreationen meiner Mitstreiterinnen: Edith Busemann aus Bad Iburg zaubert mit ihren 50 hin und her wirbelnden Klöppelpaaren einen seidenen Loop-Schal. Elisabeth Engelbert lässt die Spindeln tanzen, um eine 3,20 Meter lange, violett farbene Spitze für den Hochaltar der Mettinger St. Agatha Kirche zu arbeiten. Eine Leidenschaft sei das Klöppeln, beteuern die Frauen. Eine Sucht. Eine Droge! Adelheid Dirksmeyer nickt zustimmend und drückt mir das Werkzeug in die Hände: „Jetzt sind sie dran.“
Erhöhte Schlagzahl
Meine ersten Versuche, da lässt sich nichts schönschreiben, enden im Desaster: Dauernd gleiten mir die Klöppel aus den Fingern. Vier schlanke Gegenstände in zwei plumpen Händen – wie soll das funktionieren? „Den zweiten Klöppel über den ersten drehen und den vierten über den dritten“, wiederholt Adelheid Dirksmeyer mit bewundernswerter Zuversicht und Geduld, „und dann den dritten über den zweiten kreuzen.“ Während ich die Zahlenfolge vor mich hinmurmle und angestrengt sinniere, wie aus diesem kläglichen Gestümper jemals eine Leidenschaft werden könnte, stelle ich überrascht fest, dass meine Hände mittlerweile mit den Klöppeln eindeutig besser zurecht kommen als mein Verstand. „Das klappt doch schon ganz gut“, lächelt mir Adelheid Dirksmeyer zu – und erhöht die Schlagzahl auf sechs Klöppelpaare. Drehen. Kreuzen. Drehen. Kreuzen. „Das ganze Klöppeln“, sagt sie, „das ist im Grunde nur drehen und kreuzen.“
Heiteres Handarbeiten
Klöppeln. Klöp-peln. Dieses Wort hat mir immer schon gefallen. Es spiegelt sehr treffsicher diese heiter-gesellige Art des Handarbeitens wider, für die es steht. Mein geistiges Archiv habe ich nach meinem Besuch bei den Mettinger Klöppelfrauen übrigens ein wenig umstrukturiert: Das „Klöppeln“ hat mit „Drehen“ und „Kreuzen“ zwei friedliche neue Nachbarn bekommen. „Weiß“ habe ich durch „bunt“ ersetzt. Und „kompliziert“ wird ab sofort wieder kleingeschrieben.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 21.09.2016)