Mit sichtlichem Genuss verkostet Kemal Aganovic die rote Flüssigkeit: „Sehr gut“, befindet der Wissenschaftler – und gönnt sich gleich noch einen Schluck. Er nickt zufrieden: „Ein Saft von hoher Qualität.“ Doch so köstlich und gesund der Smoothie auch sein mag, so nüchtern gestaltet sich das Ambiente, in dem der Experte für die Haltbarmachung von Lebensmitteln die Ergebnisse seiner Forschung testet: Kühle Fliesen. Poliertes Edelstahlequipment. Kollegen mit Haarnetz, Fußüberziehern und Schutzkitteln.
Druck statt Hitze
Im sogenannten Weißbereich des Deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik (DIL) ist penible Hygiene das oberste Gebot. Schließlich werden hier die Lebensmittel der Zukunft entwickelt. Lästige Keime sind unerwünscht und dürfen allenfalls dann in Aktion treten, wenn es dem wissenschaftlichen Nutzen dient. Selbstverständlich auch dann nur unter strenger Kontrolle. Was den Bogen zurück zu Kemal Aganovic und seinem Smoothie schlägt: Denn bei der althergebrachten Methode, Fruchtsäfte durch Erhitzen haltbar zu machen, werden zwar die Mikroorganismen, die in und auf den natürlichen Zutaten – Rote-Beete, Karotten, Kirschen oder Äpfel – leben, abgetötet. Aber: „Dabei werden auch wichtige Bestandteile wie Vitamine und Antioxidantien zerstört“, erklärt Aganovic. Deshalb schwören die Mitarbeiter des DIL auf das „HPP“ (High Pressure Processing) und behandeln viele ihrer Lebensmittel – Smoothies, Fruchtsäfte, mariniertes Fleisch – mit Hochdrucken von bis zu 6000 Bar. „So werden die Mikroorganismen inaktiviert“, erläutert Aganovic, „aber die wertvollen Stoffe bleiben erhalten.“ Die Hersteller aus der Lebensmittelwirtschaft, die dieses Verfahren bereits anwenden, deklarieren ihre Produkte anschließend in der Regel als „kaltgepresst“. Kemal Aganovic zuckt mit den Schultern: „Das klingt in den Ohren der Kunden vielleicht angenehmer als ‚hochdruckbehandelt‘“, überlegt er, „ist aber tatsächlich dasselbe.“
Lang, länger, am längsten
Auch in der Abteilung für Maschinenbau weht ein Hauch von Science Fiction durch die Halle. Hier tüfteln die Mitarbeiter an neuen Konstruktionen für die Grundlagenforschung, entwickeln aber ebenso kommerzielle Produktionsverfahren für Auftraggeber aus der Wirtschaft. Georgis Davitis verdrahtet gerade die Montageplatte einer Elektro-Impuls-Anlage. Wenn das Gerät einsatzbereit ist, erzeugt es in seinem Inneren künstliche Blitze. Nein, das DIL hat seinen Geschäftsbereich mitnichten auf die Meteorologie ausgedehnt: „Diese Maschine setzen wir zur Strukturoptimierung von Kartoffeln ein“, erklärt Sebastian Biedermann, Leiter des Bereichs Kommunikation. Die Blitze lassen die Zellstrukturen der Kartoffel aufbrechen, das Wasser tritt heraus und das Gewebe wird flexibler. Bei der Weiterverarbeitung zu Pommes können die Schneideanlagen so deutlich längere Stücke, die deutlich weniger Fett aufnehmen, produzieren.
Tag der offenen Tür
Veganer Fleischsalat. Die Suche nach alternativen Eiweißlieferanten – Pflanzen und Insekten – zur globalen Proteinversorgung. Analytische Verfahren, mit deren Hilfe die Forscher den Lebensmitteln bis auf die Atome schauen können. Eine App, die den ökologischen Fußabdruck des jeweiligen Produktes angibt: Die Besucher des Tags der offenen Tür dürfen auf den mittlerweile 9000 Quadratmetern Forschungs- und Entwicklungsfläche des DIL Einsicht in viele spannende Projekte erwarten. Allerdings: Der derzeit wohl innovativste Plan des DIL steckt noch in den Kinderschuhen: ein 3-D-Drucker für Lebensmittel. Die Geburtstagstorte zum 30. Jubiläum wird daher wohl noch nicht aus einem futuristischen „Replikator“, sondern ganz altbacken vom Konditor kommen.
(Erschienen in: Bersenbrücker Kreisblatt, 08.09.2016)