„Ich wollte einfach wissen, wie sich das für ein Pferd anfühlt, wenn es gezäumt und geritten wird“, erzählt Manuela Fischer. Und weil die Vierbeiner nicht redeten, mussten eben ihre Mitschülerinnen ran. Zum Trost für die Versuchstiere von damals: Ihre Mühen waren nicht vergebens. Aus Manuela Fischer – der Amazone, die schon als Kind so großen Wert darauf legte, ihr Wissen über die Pferde stets aus erstem Hufe zu beziehen – ist inzwischen nicht bloß eine bundesweit gefragte Expertin für Leichtigkeit und Harmonie in der Ausbildung von Pferd und Reiter, sondern auch die Landesmeisterin im Barockreiten geworden. Seit einem Jahr lebt die 45-Jährige mit ihrer Familie in der Gemeinde Westerkappeln.
Das Leben ist ein Ponyhof
Ponyreiten im Zoo. Urlaube auf dem Reiterhof. Und wenn gerade kein Pferderücken zum Beglücken greifbar war, dann tat es auch mal der, einer friedlich vor sich hin grasenden Kuh. Das Leben war für Manuela Fischer tatsächlich ein Ponyhof – jedenfalls so lange, bis aus dem Kinderspaß ein ernsthaftes Hobby zu werden begann und sich die Jugendliche im örtlichen Reitstall zum Unterricht anmeldete. Das Bild, das sich ihr dort bot, war ein für traditionelle deutsche Reitsportvereine nicht untypisches: In der Halle trotteten die Pferde lustlos durch den Sand, während schwitzende Eleven um die Oberhand über Schritt, Trab und Bahnfiguren kämpften. „Zügel kurz! Hände aufrecht! Hacken tief! Treiben!“ – Statt auf harmonische Verständigung, gegenseitigen Respekt und spielerische Leichtigkeit setzte man lieber auf Druck und Durchsetzungsvermögen.
„Mir war sofort klar, dass ich das so auf keinen Fall wollte“, erinnert sich Manuela Fischer. „Das wirkte nicht, als ob irgendeiner hier Spaß hätte – weder die Schüler noch die Pferde.“ Verkrampft, verbissen und erzwungen – „So kann es nicht funktionieren“, sagte sich die heutige Landesmeisterin. Sie wälzte Fachbücher, hinterfragte, probierte aus und überprüfte ihre Erkenntnisse – in altbewährter Manier – akribisch an willigen Vier- und Zweibeinern.
Tierische Begegnung mit Folgen
Dass ihre Suche sie schließlich zum Barockreiten führen würde, verdankt sie vor allem „Xamis“, einem „arrogant schönen Lusitano-Hengst“, dem sie vor rund zwanzig Jahren per Zufall begegnete und den seine Besitzerin „in leichter Weise“ ritt. „Als ich das erste Mal auf diesem herrlichen iberischen Pferd saß – das war mein Schlüsselerlebnis“, schwärmt Manuela Fischer: „Ich gab die für mein damaliges Verständnis üblichen Hilfen – Druck mit dem Schenkel, Gewichtsverlagerung, Zügelkontakt – und es passierte gar nichts.“ Das Pferd blieb reglos stehen. „Da habe ich wohl den falschen Knopf gedrückt“, habe sie sich entschuldigt. Aber Xamis‘ Besitzerin habe nur lächelnd geantwortet: „Oh nein – du hast bloß viel zu viele Knöpfe auf einmal gedrückt. Weniger Einwirkung, mehr Sensibilität und das akzeptieren, was das Pferd dir zu geben bereit ist – das ist das ganze Geheimnis.“ Mit dieser Aussicht hatte Xamis für Manuela Fischer die Tür zur Barockreiterei weit aufgestoßen.
Die unfassbare Leichtigkeit der Piaffe
Nocturno hat die Augenlider auf halbmast ausgerichtet. Während Manuela Fischer ihrem zwölfjährigen spanischen PRE-Schimmelhengst („Pura Raza Española“) ein buntes Band in die Mähne flicht, scheint der kleine Iberer mit der zarten Stockmaßhöhe von 1,60 Metern noch ein wenig zu dösen. Wo in diesem durchtrainierten Muskelpaket mag sich das Temperament wohl gerade verstecken? „Der ist tiefenentspannt“, schmunzelt Manuela Fischer, Landesmeisterin im Barockreiten, und tätschelt ihrem Champion sanft die Stirn. „Aber gleich, wenn es auf den Reitplatz geht, dann will er unbedingt zeigen, was er kann – daran hat er einfach seinen Spaß.“
Reitkunst statt Leistungssport
Wer sich mit der klassischen, barocken Reitweise befasst, der sollte alles, was er über den traditionellen deutschen Reitstil weiß, über Bord werfen. „Barockreiten ist kein Reitsport, sondern vielmehr eine Reitkunst“, erläutert Manuela Fischer. Die Ausbildung eines Barockpferdes beginnt mit der Arbeit am Boden: Spanischer Schritt, Piaffe – der Trab auf der Stelle, Traversalen – die diagonalen Seitengänge. Allesamt Übungen von höchster Versammlung, die beim traditionellen Dressurreiten den Zenit der Bewegungskunst und damit die höchste Form der Könnerschaft darstellen. Doch was für die hiesigen Dressurpferde eine echte „Abituraufgabe“ ist, zeigen die typischen Barockpferde – Andalusier, Pura Raza Española, Puro Sangue Lusitano („Lusitano“) oder auch der Friese und der Lipizzaner – bereits im „Kindergarten“ ihrer Karriere. „Das liegt daran, dass die spanischen und besonders die portugiesischen Tiere auch heute noch für den Stierkampf und zur Rinderarbeit gezüchtet werden“, erläutert die Pferdefachfrau. „Sie müssen extrem wendig sein und haben daher einen gedrungenen, sehr kompakten Körperbau und eine angeborene Art der Versammlung.“ Und noch auf ein weiteres Merkmal des Zuchtursprungs für den Einsatz im Stierkampf weist Manuela Fischer hin: „Diese Pferde müssen nicht nur sehr mutig, sondern auch außergewöhnlich sensibel sein und auf die kleinsten Zeichen ihres Reiters reagieren, der diesen hochintelligenten Tieren schließlich sein Leben anvertraut.“
450 Kilo – fast eine halbe Tonne an Gewicht – schweben in schier unfassbarer Leichtigkeit und Eleganz über den Außenplatz der Reitanlage und spotten dabei triumphierend der Schwerkraft: Nocturno ist aufgewacht! Seine schwarzen Augen blitzen unter dem akkurat geflochtenen Schopf hervor. „Das ist ein Hochleistungssportler“, ruft Manuela Fischer vom Rücken ihres Pferdes herab und passagiert den Schimmel durch die Länge der Bahn. Während Nocturno, der barocke Landesmeister, lehrbuchreif ausgeführte Pirouetten dreht, sitzt seine Reiterin scheinbar unbewegt im Sattel. Schenkelhilfen? Nicht erkennbar. Die Zügel? Hängen locker durch. Manuela Fischer lächelt. „Diese Art zu reiten ist auf feinste Signale angelegt – minimale Gewichtshilfen, ein Schnalzen, ein kurzer Zügelkontakt – nicht auf Kraft.“
Verbeugung vor einer alten Tradition
Das standesgemäße barocke oder spanische Reitkostüm – eine Verbeugung vor der langen Tradition dieser Reitkunst – legt Manuela Fischer allerdings nur für Fototermine und offizielle Auftritte bei Wettkämpfen oder Showvorführungen an. Und auch Nocturno trägt sein üppiges Haar in der Freizeit eher offen.
Die Stunden neben dem täglichen Training verbringt der vierbeinige Ausnahmeathlet ebenfalls ganz zwanglos – im Stall bei seinen Artgenossen, auf der Koppel und bei langen Ausritten mit seiner Reiterin durch den Wald. Denn die weiß: „Nur ein Pferd, das hundert Prozent pferdegerecht behandelt wird, ist auch zu hundert Prozent motiviert.“
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 15.03.2014)