Warum das Leben manchmal wie eine Zwiebel ist

Ein Teil des Ganzen sein: Die Wersenerin Christiane Franke fühlt sich mittendrin in der Natur am wohlsten. Foto: Ulrike Havermeyer
Ein Teil des Ganzen sein: Die Wersenerin Christiane Franke fühlt sich mittendrin in der Natur am wohlsten. Foto: Ulrike Havermeyer

Eine Zwiebel? Nein, der Lieblingsplatz von Christiane Franke ist natürlich keine Küchenzwiebel – aber irgendwie besitzt er unbestritten das Wesen jenes in Schalen strukturierten pflanzlichen Speicherorgans: den zwiebeligen Zusammenhalt. Das in sich verzwiebelte Miteinander. Wer sich, wie die 46-jährige Wersenerin, mittendrin in der Natur am wohlsten fühlt, der weiß, dass es – von der eigenen Position aus betrachtet – immer auch noch ein Daneben und Dahinter, ein Darüber und Darunter, kurzum: ein Drumherum gibt. Und unmittelbar in dieses Drumherum ist der eigene Lieblingsplatz nun einmal auf Gedeih und Verderb eingebettet. So einfach ist das – ökologisch betrachtet.

Mehr als ein Stuhl im Garten

Wenn die diplomierte Biologin also daheim vor ihrem liebevoll restaurierten Heuerhaus aus uralten Bruchsteinmauern sitzt und das Leben genießt – dann ist ihr Lieblingplatz was? Dieser Stuhl, der in ihrem Garten steht. Der umfangen ist vom üppigen Baumbestand des Wersener Holzes. Das sich inmitten einer landwirtschaftlich geprägten Kulisse am Rande des Tecklenburger Landes in der norddeutschen Tiefebene befindet. Die in der gemäßigten Klimazone Nordwesteuropas gelegen ist … und kaum hat man sich‘s versehen, ist die Frankesche Zwiebel auf Biosphärengröße angeschwollen.

„Als Biologin bin ich es gewohnt, in Kreisläufen zu denken“

„Als Biologin bin ich es gewohnt, in Kreisläufen zu denken“, sagt Christiane Franke, schenkt Kräutertee nach und betrachtet das Grundstück, auf dem sie und ihr Mann Stefan seit 1996 zuhause sind. Was sie am Leben in der Natur schätzt? „Wir beobachten hier einen unglaublichen Reichtum an Vogel- und Insektenarten“, berichtet die Mutter von Mattis (8 Jahre) und Finja (5): „In der unmittelbaren Umgebung leben zum Beispiel der Bunt-, der Klein-, der Grün-, der Schwarz- und der Mittelspecht.“ Sie lächelt zufrieden, atmet tief durch und lässt ihren Blick durch die Kronen der alten Eichen schweifen. Für die Natur und das Zusammenspiel ihrer Systeme habe sie sich schon als Kind interessiert, erinnert sich die Apothekertochter aus Braunschweig. Nach der Schule lautete die entscheidende Laufbahn-Frage daher: ein Studium der Landwirtschaft oder der Biologie? Christiane Franke entschied sich für Letzteres, was sie an die Universität nach Osnabrück verschlug – ein hübsches Zwiebelhäutchen im Leben der Studentin, aber noch lange nicht das Zentrum der persönlichen Geborgenheit.

Die Zukunft ungewiss – und dann ein eigenes Haus?

Das sollten sie und ihr Mann per Zufall entdecken. „Stefan hatte beruflich in Wersen zu tun – und da stand dieses wunderschöne und völlig verfallene Häuschen mitten im Wald zum Verkauf“, beschreibt sie und schüttelt noch immer etwas ungläubig den Kopf. Der Zeitpunkt sei alles andere als passend gewesen: das Studium noch nicht beendet. Die Zukunft ungewiss – und dann ein eigenes Haus? „Das ist unsere Rosinkawiese“, habe ihr Mann gescherzt. Das Verwunschene, das Urige und die Abgeschiedenheit dieses Ortes ließ die beiden nicht mehr los – und schon bald war das renovierungsbedürftige Idyll zu ihrem Lieblingsplatz geworden. Zum Herzen ihrer Zwiebel.

Wildblumen, Familienponys – und gefräßige Milchziegen

Auf der Wiese gleich neben dem Haus weiden die drei Familienponys. Die Vierbeiner werden, genau wie die kleine Herde Milchziegen, von ihren Besitzern gern mal als Rasenmäher eingesetzt. „Wieder ein Kreislauf“, sagt die Biologin und schmunzelt. Der Garten selbst sieht denn auch entsprechend rustikal – oder besser: naturnah aus. Statt Zierblümchen, die adrett in ihren Beeten stehen, durchziehen Wildblumen in leuchtenden Farben das derbe Gras. „Jeder muss seine Prioritäten setzen dürfen“, sagt Franke.

„Aufpassen, dass die Strukturen nicht zusammenbrechen“

Der Illusion, dass ihre kleine heile Welt isoliert vom Rest fröhlich vor sich hin existiert, könnte man zwar durchaus erliegen. Aber da besteht bei Christiane Franke, der Biologin aus Leidenschaft, wohl keine Gefahr: „Wir Menschen müssen aufpassen, dass die natürlichen Strukturen, von denen wir abhängig sind, nicht zusammenbrechen“, warnt sie und verweist auf die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft und deren Auswirkungen auf die Gestaltung und den Zustand der Landschaft. „Als Verbraucher haben wir einen starken Einfluss – daher muss jeder sich fragen, was ihm wichtig ist – und welche Konsequenzen das eigene Verhalten hat.“ Christiane Franke sitzt auf ihrem Stuhl im sommerfrischen Garten im duftig grünen Wersener Holz im schönen Tecklenburger Land in der fruchtbaren norddeutschen Tiefebene – und blickt für einen Moment ziemlich nachdenklich: Zwiebeln sind robust. Aber unverletzlich sind sie nicht.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 04.06.2014; Westfälische Nachrichten, 04.06.2014)