Geschichtsvermittlung einmal anders: Ob der „Tag als Legionär“, den die Pädagogen vom Museum Varusschlacht in Kalkriese anbieten, meinen Schulzeit-Erinnerungen an einen staubtrockenen Frontalunterrich etwas Spannendes entgegenzusetzen hat?
Zelte auf- und abbauen. Schutzwälle anlegen. Sich selbst das Essen kochen. Und immer wieder: exerzieren, exerzieren, exerzieren. In voller Montur – mit Helm, Kettenpanzer, Schild und Waffen, versteht sich. Marschieren, Patroullieren, Formationen üben. Nein, das Leben der römischen Legionäre, die vor mehr als 2000 Jahren auch rund um Kalkriese lagerten, war kein Ponyhof. Selbst dann nicht, wenn die Soldaten gerade mal keine Schlacht gegen die aufrührerischen Germanen zu schlagen hatten.
Die Ohren gewaschen?
Ganz schön mulmig wird mir, als der Centurio unsere Reihen abschreitet. „Die Ohren gewaschen?“, fragt er streng. „Könnt ihr überhaupt gerade stehen?“ Er befühlt mit skeptischem Blick unsere Armmuskeln. „Hmmm…“ Wer als Legionär in die römische Armee aufgenommen werden will, muss fit sein. Stark, gesund. Und maskulin. „Frauen hatten im römischen Heer nichts zu suchen“, sagt unser Centurio, der im richtigen Leben Katja Pahlmann heißt, ausgebildete Museumspädagogin ist und mit seiner Rolle als antiker Militär geradezu verwachsen scheint.
Authentisches Varus-Feeling
Malin, Maike, Dimitri, Mats, Leonie und die anderen Kids vom Jugendtreff Bansen aus Lotte grinsen vergnügt: Ein Tag als Legionär – das wird ein Spaß! Statt Ledersandalen tragen die jugendlichen Freizeitrömer Turnschuhe, T-Shirts statt Kettenhemd. Doch unser Centurio sorgt schon dafür, dass sich bald ein möglichst authentisches Varus-Feeling einstellt: Jeder Legionärs-Azubi bekommt einen Holzschild in die linke und ein etwa 1,60 Meter langes Schanzholz in die rechte Hand gedrückt sowie einen Materialrucksack auf den Rücken geschnallt. „Seid ihr bereit, Männer?“, eröffnet Centurio Katja das Training und lässt uns in einer wohlgeordneten Reihe, immer eine Armeslänge Abstand zum Vordermann, antreten.
Erlebnis Varusschlacht
Erlebnispädagogik heißt das Erfolgsrezept, mit dem die Museumsmitarbeiter aus Kalkriese ihren Besuchern die Lebensbedingungen nahe zu bringen versuchen, die hier, an einem der möglichen Orte der Varusschlacht, in der der germanische Cheruskerfürst Arminius um 9 nach Christus den römischen Feldherrn Publius Quinctilius Varus und dessen drei Legionen besiegt haben soll, geherrscht haben.
Schnöder Soldatenalltag
„Das strenge Befolgen von drei Grundsätzen ist es, was die römische Armee so stark gemacht hat“, erklärt uns Katja Pahlmann: „Klare Befehle, widerspruchsloser Gehorsam und gutes Essen.“ Doch vor den nahrhaften Getreideeintopf aus selbst gemahlenem Weizen hat unser Centurio den schnöden Soldatenalltag gestellt. „Schilde hoch!“, kommandiert er uns durch den gnadenlosen Sommersonnenschein. Wir stolpern ungeschickt über die Wiese. Links, links, links! „Das ist viel zu heiß zum Marschieren – können wir keine Pause machen?“, mault ein schwitzender Nachwuchslegionär und lässt sich stöhnend in den Schatten des Waldrandes fallen. Ein anderer verfremdet triumphierend seinen Schild als Sonnenschim und greift zu seiner Mixgetränk-Flasche. Unser Centurio wirkt leicht irritiert: „In der römischen Armee wird nicht diskutiert!“, schüttelt er fassungslos den Kopf und beäugt die Abtrünnigen mit missbilligendem Blick.
Skeptisches Fußvolk
Sie seien hoch motiviert und das Exerzieren mache ihnen auch richtig viel Spaß, versichern die Legionäre und erheben sich umständlich, aber bei diesen Temperaturen solle man das Üben doch besser auf die Abendstunden verschieben. „Und was, wenn die Germanen uns aus dem Hinterhalt überfallen?“, gibt der Centurio zu bedenken. Wir, das Fußvolk, glauben nicht an militärische Aktionen bei über 30 Grad – aber das verraten wir unserem Centurio nicht. Stattdessen fügen wir uns tapfer seinen Befehlen und spielen mit: Wir schubsen uns bei der Aufstellung zur komplizierten Schildkrötenformation ungewollt gegenseitig zu Boden. Verwechseln beim Marschieren rechts und links. Und überhören vor lauter Gekicher ständig den Befehl, in Deckung zu gehen.
„Sie sind alle so dumm…“
Unser Centurio sieht uns an und seufzt. Dass Katja Pahlmann jetzt nicht Asterix und Obelix zitiert – „Sie sind alle so dumm, und ich bin ihr Chef!“ – rechne ich ihr hoch an. „Hauptsache ihr wisst nun, wie hart das Leben der römischen Legionäre tatsächlich war“, sagt sie schließlich am Ende des Tags und lächelt amüsiert. Das wissen wir allerdings. Und noch mehr haben wir gelernt: Schweißtreibendes Tun ist allemal unterhaltsamer als staubtrockenes Gepauke – besonders in den Ferien.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 27.07.2016)